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Generelles über Trance-Musik
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Die Todfeinde

Krämer und Technokraten ruinieren die populäre Kunst - nicht das Internet und seine Raubkopierer.

Von Karl Bruckmaier (Süddeutsche Zeitung)


» In dieser tendenziell schon immer menschenverachtenden Branche werden Unmündige und Ungebildete vernutzt wie Arbeitssklaven. «

Am Anfang war bekanntlich das Wort. Und das Wort wollte aufgezeichnet werden. Es ließ sich in Tontäfelchen kratzen, in Stein meißeln, an Pompejis Hauswände kritzeln und auf Matrosenhaut tätowieren. Es ließ sich von Mönchlein auf Pergament malen und von Gutenbergs Schülern auf Papier drucken. Und wir alle lesen es in diesem Moment. Doch das Wort wollte mehr, es wollte gehört werden.


Auftritt Thomas Alva Edison. 1878 ließ der durch keine Elite-Universität gepäppelte Erfinder seinen Phonographen patentieren, mit dessen Hilfe es möglich war, Schall auf einer Stanniolwalze zu speichern. Das Wort war es zufrieden.


Nur wenige Jahre später konkurrierten weltweit die verschiedensten Systeme und Hersteller von phonographischen Abspielgeräten miteinander, denn Edison hatte stur darauf bestanden, dass der Phonograph lediglich als Diktiergerät in Büros zu nutzen sei und überließ es lange Zeit anderen, Opernarien und Couplets aufzuzeichnen und für 75 Cent pro Stück an die Teenager der Welt zu verhökern – denn bereits damals waren es vor allem die in Amerika „flappers“ genannten, pubertierenden Töchter der Mittelschicht, die vom knisternden Schmelz eines Wachs-Caruso nicht genug bekommen konnten. Die Stückzahl der jährlich verkauften Walzen und Scheiben ging in die Millionen; ein Abspielgerät der Firmen Victor oder Columbia war um 1890 bereits für zehn Dollar zu haben. Phonograph, Ersatznadeln und Tonträger gab es im Versandhandel, beim Eisenwarenladen um die Ecke, im Möbelgeschäft, wo halt gerade eine Ecke frei war für ein Zubrot.




» Selbst todsichere Hits werden nicht mehr wahrgenommen. «

Das gesungene Wort in seiner aufgezeichneten Form befand sich also von Anfang an in den Händen von Krämern und Technokraten, denen es herzlich egal war, was aus den Trichtern ihrer Talking Machines trötete. Und dieser Indifferenz ist es auch zu danken, dass in den 20er Jahren zunehmend Jazz, Blues und Countrymusik aufgenommen und vertrieben wurde, gerne auch mit sexuell zweideutigen Texten, mit Drogenreferenzen und politischen oder religiösen Botschaften.


Denn die weißen Teenager der amerikanischen Großstädte hatten sich vom Phonographen ab- und dem neuen Medium Radio zugewandt, das sie nun nonstop mit live übertragener Stimmungsmusik versorgte. Die marginalisierten Minderheiten auf dem Land oder am Rand der Ballungsräume dagegen – schwarze Taglöhner, Migranten, weiße Gelegenheitsarbeiter, Farmer – waren bereit, das wenige Geld, das sie übrig hatten, in Schellacks anzulegen. In ihre Musik. In eine Musik, die einmal von einem Harry Smith zur uramerikanischen Volksmusik umgedeutet werden sollte. In etwas Wertvolles.


Doch der kulturelle Wert der Musik war den Herstellern und Vertreibern dieser Musik nichts im Vergleich mit dem Warenwert. Börsenkrach und Depression stürzten die Tonträger-Industrie in eine Krise, gegen die unsere heutigen Marktturbulenzen lachhaft scheinen. Schellacks wurden 1930 in Spitzenauflagen von 750 Stück gepresst; die Arbeitszeit in den Presswerken auf drei halbe Tage die Woche zurück gefahren.

Paramount, in den zwanziger Jahren berühmt für seine schlechte Pressqualität wie CBS dann in den späten Siebzigern, gehörte einem Möbelfabrikanten in Wisconsin, der 1932 beschloss, die Musikproduktion abzuwickeln: die unverkauften Schallplatten wurden eingeschmolzen, die Pressmatrizen aus Nickel ebenso – kulturelle Dokumente von unschätzbarem Wert unwiederbringlich vernichtet für ein paar Cent Erlös aus dem Altmetallhandel.

Die Plattenpresse brach wenig später durch den verrottenden Holzboden des Gebäudes und sauste wie die amerikanische Volkswirtschaft durch bis in den Keller. Doch selbst damit war die Katastrophe für die amerikanische Tonträgerindustrie noch nicht zu Ende.

Während des 2. Weltkriegs wurde Schellack zum kriegswichtigen Gut; neue Platten erschienen wenn überhaupt nur in kleinen, limitierten Auflagen. Nach dem Krieg streikten dann Studios und Musiker: von einer Musikindustrie konnte faktisch nicht mehr gesprochen werden.


Was dann folgte, ist bekannt: Technische Neuerungen wie Vinyl-Platten mit längerer Abspielzeit und besserer Haltbarkeit, die elektromagnetische Aufzeichnung, ungekannte qualitative Verbesserungen bei der Wiedergabe bis hin zur Stereophonie und die Miniaturisierung der Hardware-Komponenten, Transistor-Technik, Halbleiter-Technologie, schließlich die Digitalisierung der Musik, die Loslösung des gespeicherten Wortes von einem Wirtskörper, einem „Tonträger“, und die Überführung in die „reine“ Information parallel zur explosionshaften Ausbreitung der Popmusik über den Globus prägten und begleiteten die Kultur und Gesellschaftspolitik der letzten 50 Jahre.


Und einen nennenswerten Beitrag zu dieser Entwicklung lieferten die Plattenfirmen, die ja einerseits die Hardware-Abteilungen der Elektronik-Konzerne mit ständig neuen Inhalten versorgen mussten, sich aber im Lauf der Jahrzehnte auch mit diesen Inhalten identifiziert haben.

Ob Sam Phillips bei Sun einen Elvis entdeckte, ob Berry Gordy Motown gründete oder Herb Alpert A & M, ob Ahmed Ertegun erfolgreich Led Zeppelin umwarb oder Richard Branson einem Mike Oldfield einen ersten Vertrag gab, ob Chris Blackwell ein Imperium aufbaute, in dem die Stars nicht untergingen – über fünfzig Jahre standen den großen Tonträgerfirmen Menschen vor, die neben dem Wunsch, möglichst viel Geld zu verdienen auch den festen Willen hatten, möglichst gute Musik zu verbreiten.

In einer Mischkalkulation, gewiss, man war ja ein Entrepreneur, aber ein sich millionenfach verkaufendes Retortenprodukt musste halt einen Spleen, ein Faible, ein Steckenpferd des Chefs mit finanzieren. Man hatte schließlich auch Geschmack und Stil. Und so manches spleenige Steckenpferd riss sich nach zwei, drei Jahren los und wurde selbst zum Millionengeschäft.

Doch der Erfolg der Menschen, die mit der Vermarktung von Musik viel Geld verdienten, weckte Begehrlichkeiten. Seit den 70er Jahren, doch verstärkt in jüngerer Vergangenheit, verleiben sich große Industriekonglomerate Plattenfirmen ein, so genannte „content provider“, dazu Vertriebe, Ladenketten, Musikverlage.

Thorn kaufte einst EMI, Sony schluckte Columbia, Bertelsmann die RCA, Vivendi essen Universal auf. Es haben wieder Schnapsbrenner, Möbelfabrikanten und Waffenschmiede das Sagen, die ebenso unintelligent wie humorlos reagieren, wenn das Geld nicht mehr so reichlich fließt wie einst. Während die genannten Granden der Branche sich auf ihre Karibik-Inseln zurück zogen oder Rekordflüge in Ballons unternehmen. Lebenskünstler eben.


Ihre ehemalige Branche wird dagegen seit Jahren kaputt saniert und fusioniert. Neue Künstler werden nicht mehr gezielt gefördert und etabliert, sondern noch mehr als in dieser tendenziell schon immer menschenverachtenden Branche werden Unmündige und Ungebildete vernutzt wie Arbeitssklaven, nur dass die Sweat-Shops der Unterhaltungsindustrie aus Tanzstudios und Fitness-Räumen gebildet und von Magersüchtigen anstatt von Halbverhungerten bevölkert werden.

Geht gar nichts mehr, werden Leichen gefleddert: Elvis ist nicht tot, er riecht nur komisch. Die Vertriebswege werden sabotiert, die Kundschaft aus den Fachgeschäften zurück in die Boutiquen und Drogeriemärkte getrieben. Sichere Umsatzbringer wie die Auswertung des Back-Katalogs wurden ausgelagert, weil so was Sachverstand und Zeit braucht, etwas, das die Abwracker der Popkultur nicht haben.

Selbst todsichere Hits werden nicht mehr wahrgenommen, ein Beispiel: So wurde etwa die fünf CDs umfassende Johnny Cash-Box von Universal mit unveröffentlichtem Material zuerst angeblich nicht kostendeckend und in einer lächerlichen Stückzahl auf den Markt gebracht, war vor Weihnachten praktisch aus den Läden verschwunden, ist jetzt nur als sündteurer Import erhältlich und soll angeblich im Februar wieder in die Läden kommen, mit Preisaufschlag, allerdings ohne jegliche Promotion durch die Plattenfirma. Der Mann ist ja alt und tot und trägt keinen String-Tanga. Jeder Praktikant bei der EMI des Jahres 1975 hätte erkannt, dass hier Millionen zu verdienen sind.


Die Liste der Versäumnisse innerhalb dieser dementen Industrie ließe sich seitenweise fortführen, doch keiner würde sie ernst nehmen. Denn Schuld an jedem Unbill ist ja nicht die eigene Unfähigkeit, sondern das von Download-Piraten bevölkerte Internet, eine Weltsicht, die stark an den Hexenwahn des Mittelalters erinnert: Alles lässt sich erklären, nichts kann man machen – das Credo der Renner, Stein, Lange. Keine Träne sei ihnen nachgeweint: Sie haben die Hurerei des Gewerbes eher befördert denn gemildert.


Im Großen (Fusionen) wie im Kleinen (Umstellung der Radio-Bemusterung auf Downloads) wird lemminghaft weiter ein Nagel nach dem anderen in den Sarg der Musikindustrie geschlagen. Falsch: nur die unbelehrbaren Großstrukturen innerhalb dieser Industrie werden zu Grabe getragen, die Baracken voll mit den Untoten des Pop, geschichtslos, zynisch, käuflich, die nicht mehr ausreichend den Shareholder Value der Konzernmutter steigern.

Denn interessanterweise hört man die kleinen und mittleren Labels nicht klagen, im Gegenteil: Die Geschäfte liefen prächtig, heißt es. Und viele zehntausend verkaufte Platten sind auch ein paar Millionen. Die in den Nischen haben es gut. Sie erledigen, was die Großen nicht mehr erledigen können oder wollen. Sie wachsen. Sie lieben die Musik. Manchmal. Sie haben ihren Spaß. Meistens. Und wenn der Spaß einmal aufhören sollte, kann man alles gewinnbringend an einen geldgeilen Krämer verkaufen, der noch ein wenig freien Platz in seinem Ramschladen hat. Wie ganz am Anfang. Mein Wort drauf.

SZ v. 26.01.2004
UFTA Sound System

Beitrag von UFTA Sound System »

Was wir heute unbedingt brauchen, ist ein funktionierendes Online Vertriebssystem.

"Spiegel-Online hat den MyCokeShop näher unter die Lupe genommen. Fazit: "Unter dem Strich bleibt der Eindruck eines aufwendig programmierten, hip gestylten Musikshops mit hinreichend einfacher Benutzerführung, der deutlich weniger zu bieten hat als selbst die kleinste illegale Tauschbörse. Das hat er mit bisher allen in Europa implementierten legalen Musikshops gemein, und da muss noch etwas passieren. Besonders ärgerlich sind die Software-Vorgaben und die damit verbundenen Kompatibilitätsprobleme."

Denn jeder soll das bekommen was er verdient, und die Sensibilisierung der potentiellen Käufer ist sicher ein wichtiger Punkt. Aber es kommt dabei doch sehr auf die Art und Weise an, wie man die Botschaft rüberbringt.
Denn wir dürfen nicht vergessen, dass ein Kaufentscheid gerade bei Musikprodukten immer mit Sympathie verknüpft ist.

Wenn ihr die Sympathie der Massen gewonnen habt, dann habt ihr auch ihr Geld. Da müsst ihr nicht mal gut sein :wink:
Gast

Beitrag von Gast »

Copy kills the System not the Music!!!

Heil Diskordia :wink:
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