Nervensägen zwischen Wut und Wahn

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Alex604
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Nervensägen zwischen Wut und Wahn

Beitrag von Alex604 »

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Artikel aus der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 20.04.2013, Seite 15:
Nervensägen zwischen Wut und Wahn

Ihr Hormonhaushalt gleicht selbst nach Niederlagen demjenigen eines Siegers: Sobald sich ewige Rechthaber im Unrecht wähnen, kämpfen sie. Jeder Verlust spornt sie zu neuen Protestaktionen an.
Daniel Gerny

Es sind Gauner, es sind Betrüger: Mit riesigen Lettern aus Sägemehl hat Klemenz Marti seine Wut ins Feld gestreut, so dass der Schriftzug sogar mit den Satelliten-Kameras von Google erfasst werden kann: «UBS = Diebe». Alle Welt soll wissen, wie ihm die Grossbank unfair mitgespielt hat, so dass sein Vermögen dahinschmolz und sich der Traum vom schönen Pensioniertenleben im Einfamilienhaus in Luft auflöste. Stattdessen sind innere Unruhe und Misstrauen eingekehrt, die Marti nicht loslassen. Sie bestimmen den ersten Gedanken nach dem Aufwachen und den letzten vor dem Einschlafen. Dutzende von Leserbriefen hat Marti in wachen Nächten verfasst, jahrelange Streitereien mit Bankangestellten und Behörden ausgefochten - ohne Erfolg. Dass er sich mit seinem Muni aus Protest zweimal wild entschlossen vor einer Bankfiliale postierte, brachte ihm zwar Schlagzeilen im «Blick», doch nicht sein Geld zurück. Marti aber gibt nicht auf, auch nicht nach über einem halben Jahrzehnt: «Selbst wenn ich dafür ins Gefängnis müsste», sagt er. «Ich kämpfe weiter.»

Glücklich ist, wer vergisst

«Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist», rät der Volksmund, doch manche Menschen vergessen Fehler und Verletzungen nicht, auch nicht nach Jahren, wenn sie für andere langsam verkraftbar wären. Sie setzen sich mit eiserner Verbissenheit zur Wehr, reizen alle Mittel aus, kämpfen fast rund um die Uhr gegen das angebliche Unrecht an, das immer bedrohlicher wird. Es ist ein einsamer Kampf, denn genervt wiegeln die Behörden ab, bestätigen und verstärken so die Feindseligkeiten, die sich zu einer alles umfassenden Verschwörung verdichten. Das Misstrauen nimmt überhand, bestimmt nach und nach alles Fühlen und alles Handeln, bis der Kampf das Leben prägt und das letzte Quentchen Glück verdrängt.

Man nennt sie Dickschädel, Nervensägen, Querulanten. Sie decken Amtsstellen mit Eingaben ein, Redaktionen mit Leserbriefen und Gerichte mit immer neuen Verfahren, manchmal so lange und so intensiv, dass ganze Abteilungen gelähmt werden und Angestellte verzweifeln. Der landesweit als «Richterschreck» bekannt gewordene Franz Schulte-Wermeling weigerte sich ab Mitte der 1970er Jahre während Jahrzehnten, Verkehrsbussen zu bezahlen. Er führte einen endlosen Kleinkrieg gegen die Justiz, wobei er weder vor Schimpf und Schande noch vor rohen Eiern und Ohrfeigen zurückschreckte. Schlimmer aber: Er trickste mit seinem im Laufe der Jahre zusammengekommenen juristischen Know-how Behörden und Richter auf ihrem ureigenen Feld aus. Hunderte von Ordnungsbussen blieben schliesslich unerledigt in den Schubladen liegen.

Durchhaltevermögen bewies auch ein Luzerner Bergbauer, der sich während über anderthalb Jahrzehnten wegen Verbauungen an einem Wildbach mit den Behörden anlegte; der Wildbach bedrohte das Grundstück. Weder Kosten, Haft noch seine drohende Verbitterung hielten ihn von seinem zähen Kampf und unzähligen Verfahren ab - bis er schliesslich vom Bundesgericht recht erhielt. Dies allerdings ist die Ausnahme: Meistens verfangen sich die Querulanten im Dickicht des Rechts, sie verlieren mehr und mehr den Blick fürs Wesentliche und entwickeln sich zu Gefangenen ihrer Wahrnehmung. In seltenen Extremfällen endet der verzweifelte und narzisstische Kampf gegen die feindliche Welt gar in der totalen Eskalation: Fünfzehn Opfer fand die enthemmte Gewalttat des Friedrich Leibacher, als er am 27. September 2001 nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten im Zuger Rathaus zur Waffe griff.

Bei Querulanten sei das Rechtsempfinden übersteigert und das Gerechtigkeitsgefühl egozentrisch ausgeprägt, sagt Thomas Knecht, Leiter Forensik am psychiatrischen Zentrum Herisau, der sich mit der Querulanz befasst. Es wird häufig bei Menschen mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung beobachtet, die bei 0,5 bis 2,5 Prozent der Bevölkerung vorliegt. Sie sind überempfindlich, meistens männlich, neigen zu Groll, sind überdurchschnittlich misstrauisch, streitsüchtig, anfällig für Verschwörungstheorien oder verfügen über ein überhöhtes Selbstwertgefühl, das sich in ständiger Ichbezogenheit zeigt. Nicht alle Kriterien müssen erfüllt sein, und ein Wahn im engeren Sinn wird nicht diagnostiziert: Es handelt sich eher um eine wahnhaft anmutende Überzeugung, im Recht zu sein, selbst wenn alles dagegen spricht.

Dabei sind Nervensägen nicht blosse Phantasten, die von Anfang an von Hirngespinsten heimgesucht werden. Oft beginne die querulatorische Entwicklung mit einem echten Fehler, einem Missverständnis oder einer Verletzung, erklärt Beatrice Inglin-Buomberger, Ombudsfrau des Kantons Basel-Stadt, in ihrem Büro, in welchem regelmässig Querulanten auftauchen. Die andauernde Streitlust von Franz Schulte-Wermeling beispielsweise geht auf die 1970er Jahre zurück, als ihn ein Gericht zu Unrecht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt hatte. Doch die Fähigkeit, eine leidige Sache, sei sie noch so schmerzlich oder mit noch so hohen Verlusten verbunden, nach Jahren im Interesse des eigenen Friedens endlich gut sein zu lassen - sie fehlt.

Auch im solothurnischen Bettlach, wo Klemenz Marti Mitte des letzten Jahrzehntes seine Geldangelegenheiten regeln muss, sind die Rollen zu Beginn nicht einfach zuzuordnen. Unmissverständlich und glasklar habe er dem Bankangestellten damals seine Anlagestrategie skizziert, versichert er. Eine Strategie, von der er im Leben nie abgewichen war: keine Aktien, keine Risiken, keine übermässigen Renditen. Weshalb im Portfolio dennoch Papiere landen, die Martis Wünschen zuwiderlaufen und sein Vermögen dezimieren, ist nicht zweifelsfrei zu rekonstruieren.

Für Marti jedenfalls ist klar, dass die Banken Systeme aufgebaut haben, um den Leuten mit Gaunermethoden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Gedeckt werden sie von Amtsstellen, Anwälten und Gerichten bis hinauf nach Lausanne. Dass er - mir nichts, dir nichts - ein halbes Vermögen verliert, während die Bankmanager Panne um Panne produzieren und sich dennoch Millionen zuschanzen, wie Marti argwöhnt, erhöht den Frust über den Missstand. Die unterzeichneten Formulare, für die er sich nicht übermässig interessierte und die er nicht richtig verstand, geben dagegen der Bank recht. Aus juristischer Sicht ist Martis Kampf aussichtslos.

Testosteron und Serotonin

Blickt man ins Gehirn von Menschen, die sich mit nicht nachlassendem Eifer zur Wehr setzen, so zeigt sich, dass sie Niederlagen nicht als Niederlagen bewerten, sondern als noch grössere Herausforderungen. Während beim Sieger das Testosteron und das Serotonin erhöht seien und das Stresshormon Cortisol relativ rasch zum Ausgangswert zurückkehre, so Knecht, verhalte es sich beim Verlierer normalerweise umgekehrt: Sie ermüden. Dieser vitalitätsarme bis depressive Zustand des Verlierers tritt beim Querulanten nicht ein. Sie verhalten sich eher wie Sieger - und gehen, Testosteron und Serotonin sei Dank, zum nächsten Angriff über. Das fühlt sich nicht immer schlecht an: Querulanten sind besonders gut gegen Depressionen geschützt, auch wenn sie riskieren, ihren aussichtslosen Kampf bis zum Umfallen zu führen.

Dabei ist kampflustiges Misstrauen nicht per se ungesund. Es befähige uns, uns im engmaschigen Beziehungsgeflecht zurechtzufinden und uns innerhalb der Gesellschaft in eine aussichtsreiche Position zu bringen, erklärt Knecht. Wer sich wehrt, setzt sich durch - ein Prinzip, das gesellschaftlich anerkannt ist. Aus diesem Grund ist der Staat idealerweise so organisiert, dass Beschwerden ohne Querulanz vorgebracht werden können. Die Grenze zwischen akzeptiertem und querulatorischem Verhalten ist jedoch nicht nur fliessend, sondern auch vom Umfeld abhängig: Im funktionierenden Rechtsstaat ist Querulanz nicht nötig. Unter Unrechtsregimen aber sind Menschen mit querulatorischen Zügen, die die Nachteile ihres Handelns und ihrer Niederlagen für ihre Person nicht überbewerten, oft treibende Kraft des Widerstands.

Trutzburg in Bettlach

So sieht der Bettlacher Hof von Klemenz Marti von weitem aus wie eine Trutzburg, an der Transparente vor Dieben und Betrügern warnen, die seiner Meinung nach nicht mehr in den Wäldern hausen, sondern bei der UBS. Sein Heim ist eine Insel in einer Welt, in der Bankiers, Behörden, Richter, Anwälte und Journalisten unter einer einzigen Decke liegen und sich gemeinsam gegen das Recht verschwören. Nichts und niemand wird Marti je davon überzeugen können, dass er sein Geld zwar unglücklich, aber in gewisser Weise selbstverschuldet verloren hat. Nein, der Marti mache weiter, denn wer wisse schon, wer am Schluss den längeren Atem behalte, sagt der Bauer und lacht sein Lachen, das wie eine Mischung aus Rebellentum und Schicksalsergebenheit klingt. Aufgeben lohnt sich nicht, heute nicht - und morgen nicht, wenn Klemenz Marti wieder mit dem immergleichen Gedanken aufwacht, der ihn selbst im Schlaf nicht ganz losgelassen haben wird: «Es sind Gauner, es sind Diebe.»
ehem. dideldum.ch / biberfreund
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BuddhaNature
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Re: Nervensägen zwischen Wut und Wahn

Beitrag von BuddhaNature »

so ein müll :-"
schade um die zeit sowas zu gelesen zu haben.
kenne die geschichte vom marti nicht... aber dies platt zu treten und zu verallgemeinern ist einfach ein schlechter witz.

hier dachte ich kommt was positives:
Alex604 hat geschrieben:Im funktionierenden Rechtsstaat ist Querulanz nicht nötig. Unter Unrechtsregimen aber sind Menschen mit querulatorischen Zügen, die die Nachteile ihres Handelns und ihrer Niederlagen für ihre Person nicht überbewerten, oft treibende Kraft des Widerstands.
aber nein... weil widerstand ja auch negativ gewertet wird.

hauptsache niemand wehrt sich und frisst schön alles tapfer rein... wir leben ja in einem funktionerenden rechtsstaat!
GEH DEN WEG DES HERZENS

Leuchtherz
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Re: Nervensägen zwischen Wut und Wahn

Beitrag von Leuchtherz »

Im funktionierenden Rechtsstaat ist Querulanz nicht nötig. Unter Unrechtsregimen aber sind Menschen mit querulatorischen Zügen, die die Nachteile ihres Handelns und ihrer Niederlagen für ihre Person nicht überbewerten, oft treibende Kraft des Widerstands.
Verzweifle nicht an der Gewichtigkeit der Dinge,
neben Elefanten gibt's auch

SchMetteRlinge

(Harry Pegas)
The Dude

Re: Nervensägen zwischen Wut und Wahn

Beitrag von The Dude »

BuddhaNature hat geschrieben:so ein müll :-"
schade um die zeit sowas zu gelesen zu haben.
kenne die geschichte vom marti nicht... aber dies platt zu treten und zu verallgemeinern ist einfach ein schlechter witz.

hier dachte ich kommt was positives:
Alex604 hat geschrieben:Im funktionierenden Rechtsstaat ist Querulanz nicht nötig. Unter Unrechtsregimen aber sind Menschen mit querulatorischen Zügen, die die Nachteile ihres Handelns und ihrer Niederlagen für ihre Person nicht überbewerten, oft treibende Kraft des Widerstands.
aber nein... weil widerstand ja auch negativ gewertet wird.

hauptsache niemand wehrt sich und frisst schön alles tapfer rein... wir leben ja in einem funktionerenden rechtsstaat!
;)

ps. http://dudeweblog.wordpress.com/2013/04 ... regulativ/

@biber
leite doch den artikel mal an den schreiberling weiter.. da könnten er mal was gescheites lernen...
illusion
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Re: Nervensägen zwischen Wut und Wahn

Beitrag von illusion »

hehe - ausnahmsweise mal ein thread, in dem alle smilies korrektestens gesetzt wurden :-D


mir kommen dabei mindestens siebzig Nervensägen in den sinn, die sich eigentlich betroffen fühlen müssten #-o

ups - smilies komplettestens falsch gesetzt.

liegt am östrogen-überschuss :oops:
there is nothing real outside our perception of reality
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