Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

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Der Fragensteller
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Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von Der Fragensteller »

https://www.google.com/amp/s/www.vice.c ... ragen-dech

Bin ich der einzige, dem das zu denken gibt?
Wo bewegen wir uns hin als Weltgemeinschaft?
Eine Spurnsuche:

Txt: erschienen im VICE geschrieben von SEBASTIAN SELE
Der 'Tages-Anzeiger' veröffentlicht diesen Wutbürger-Artikel – und wir haben Fragen

Sogar die rechtsextreme PNOS empfiehlt den Text mit den Worten "Lesen und geniessen." Was ist da bloss los? Eine Spurensuche.

Ich koche nicht sehr oft, aber wenn, dann meist Pasta mit einer ungezuckerten, aber süssen Tomatensauce, wie ich sie vor zwei, drei Jahren von einem Mitbewohner gelernt habe. Der Mitbewohner arbeitet in einem italienischen Restaurant, dort hat er wiederum das Rezept von einem Koch gelernt, der Sizilianer ist und kein Wort Deutsch spricht. Loben mich Freunde für die Tomatensauce, bedanke ich mich, erwähne diese Geschichte aber kaum. Für mich ist Multikulturalismus in erster Linie ein Geben und Nehmen, von dem wir alle profitieren können. Wenn wir nur wollen.

Ansichten wie meine scheinen in letzter Zeit nicht sonderlich populär zu sein. Bei der sonst sehr reflektierten deutschen ZEIT stellten sich Redakteure kürzlich die Frage, ob man Menschen wirklich aus dem Mittelmeer retten soll – und finden Antworten, die nicht "Auf jeden Fall!" lauten. Und auch in der Schweiz lässt das SRF im "Club" folgende Fragen diskutieren: "Haben wir die Pflicht, Flüchtlinge aus Seenot zu retten? Oder wird so alles nur noch schlimmer?"

Der mediale Diskurs verschiebt sich. Das aktuellste Beispiel dafür ist ein Text aus der reichweitenstärkstenQualitätszeitung der Schweiz, demTages-Anzeiger. Unter dem Titel "Sehr geehrte Frau Bundesrätin Sommaruga!" holt der Gastautor Maurus Federspiel in der gemeinhinals links-liberal eingeordneten Zeitung zu einem Rundumschlag gegen die Schweizer Migrationspolitik aus. Von der "totalen Durchmischung aller Völker" ist dort zu lesen, von "durchwirkten Kulturkreisen" und von "Integration als Bringleistung".

Maurus Federspiels offener Briefwurde auf Facebook inzwischen über 170-mal geteilt, unter anderem von der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer mit den Worten "Dieser Text beinhaltet sehr viel Wahrheit. Lesen und geniessen". Das wirft Fragen auf: Wie kommt es, dass ein solcher Text in einer links-liberalen Qualitätszeitung erscheint? Wer ist Maurus Federspiel? Und was passiert hier eigentlich gerade?

Doch beginnen wir von vorne.

Wer ist Maurus Federspiel – und wo wohnt er eigentlich?

"Auf den Strassen in meinem Zürcher Quartier höre ich heute mehrheitlich ausländische Sprachen, von denen ich viele nicht einmal erkenne. Ich bin in diesem Quartier aufgewachsen, aber bisweilen fühle ich mich hier jetzt wie ein Fremder. Das ist, gelinde gesagt, irritierend." – Maurus Federspiel im 'Tages-Anzeiger'

Mit diesen Worten eröffnet der Autor Maurus Federspiel in seinem offenen Brief, wie sich die Entwicklungen in der grossen Politik auf sein Leben im Kleinen auswirken. Damit ich mich besser in seine Lage versetzen kann, habe ich etwas recherchiert und das Zürcher Quartier ausfindig gemacht, das Maurus Federspiel zu einem über 1.200 Wörter langen offenen Brief gegen die derzeitige Migrationspolitik veranlasst – überraschend für mich: Der Ausländeranteil im Quartier ist in den letzten Jahrzehnten gesunken. Von 36 auf 31 Prozent. Zieht man die Deutschen im Quartier ab, die angesichts ihrer Sprache wenig zu Maurus Federspiels Irritation beitragen dürften, ist der Unterschied sogar noch grösser. 1993 lag der Anteil an Ausländern laut Statistik Zürichbei 34 Prozent, 2017 bei 24 Prozent.

Stellen sich die Fragen: Liegt das Problem wirklich am Quartier, oder vielleicht doch eher in der Wahrnehmung des Autors? Und wie kommt es dazu, dass eine Qualitätszeitung einen Text publiziert, der auf Gefühlen aufbaut, die faktisch klar widerlegbar sind?

Über Maurus Federspiel selbst ist im Internet erstmal nicht viel zu erfahren. Wikipedia verrät lediglich: Schriftsteller und Journalist, 1974 in Basel geboren, Creative Writing in New York studiert, heute wohnhaft in Zürich. Zwei Romane veröffentlicht, 2005 und 2014, wobei er seinen Erstling nicht einmal auf seiner Webseite aufgeführt habe, die inzwischen nicht mehr online ist.

Sein 2014 erschienener Roman Feindwird von zwei grösseren Zeitungen in der Schweiz besprochen, der NZZ und der Weltwoche. Die NZZ lobt Federspiels Flair für das Groteske, dieWeltwoche nennt ihn begabt, hebt seine dichte, ambitionierte und hochkonzentrierte Sprache hervor, warnt aber auch: "Literatur und Trash kollidieren". Mit der Weltwocheverbindet Maurus Federspiel aber nicht nur diese Rezension. Der Zürcher schreibt auch selbst für die Wochenzeitung, deren Verleger und Chefredaktor Roger Köppel für die rechtspopulistische SVP im Nationalrat sitzt. Mindestens neun Texte sind seit der Rezension unter dem Namen Maurus Federspiel erschienen. Bei drei der Texte durfte Maurus Federspiel im Namen derWeltwoche auf Leserfragen antworten.

Es steht natürlich erstmal allen frei, für die Zeitung ihrer Wahl zu schreiben, auch für eine Rechte. Trotzdem drängt sich die Frage auf: Wie kommt es dazu, dass eine links-liberale Zeitung plötzlich einen politischen Text eines Autors mit diesem Hintergrund veröffentlicht?

Wieso schreibt Maurus Federspiel nicht direkt an Bundesrätin Sommaruga?

"Magistratinnen und Magistraten sind keine blossen Funktionäre, sondern müssen eine Vision haben, das Bild einer Zukunft, die sie für erstrebenswert halten. In diesem Sinne möchte ich Sie nach Ihrer Vision für die Schweiz fragen.

Wie soll die Schweiz in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren aussehen – mit besonderem Hinblick auf die Migrationspolitik, auf die Sie ja als Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements in besonderer Weise Einfluss haben? Dabei werde ich hier skizzieren, was mir an der derzeitigen Entwicklung Sorgen bereitet." – Maurus Federspiel im 'Tages-Anzeiger'

Habe ich als Kind meine Mutter gefragt, wieso Person X macht, was sie eben macht, hat meine Mutter gerne geantwortet: Wieso fragst du sie nicht gleich selbst? So wie meine Mutter recht damit gehabt hat, dass man nicht lügen soll, wenn man ernst genommen werden möchte, hat sie wohl auch damit recht gehabt. Maurus Federspiel scheint meine Mutter nicht zu kennen.



Als Grundlage für seinen offenen Brief nennt Maurus Federspiel die Frage, was Bundesrätin Sommarugas migrationspolitische Vision sei. Maurus Federspiel geht in seinem Text nicht weiter auf die Frage an Simonetta Sommaruga ein, sondern skizziert seine persönlichen Sorgen, vorwiegend als Fragen ohne Antworten. Wiewatson gezeigt hat, ist Simonetta Sommaruga für den rechten Mob in der Schweiz, was Angela Merkel für Deutschland ist: ein Blitzableiter.

Ganz im Sinne der Werte, die mir meine Mutter mitgegeben hat, habe ich für Maurus Federspiel bei Bundesrätin Simonetta Sommaruga nachgefragt. Der Wortlaut meiner Anfrage an das Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, dem Sommaruga vorsteht:

Frau Sommaruga, wie soll Ihre Schweiz in 10, 20 oder 50 Jahren aussehen? Insbesondere hinsichtlich der Migrationspolitik.

Auf meine Anfrage habe ich erst einen Rückschlag erhalten. Simonetta Sommaruga weile derzeit im Urlaub und könne nicht auf meine Frage antworten, und auch sonst wäre eine Antwort zu umfassend, als dass sie innerhalb der Woche bei mir angelangen könnte. Auf meinen Vorschlag, mir Statements weiterzuleiten, in denen Sommaruga zu dieser Frage Stellung nehme, gingen die Medienverantwortlichen jedoch gerne ein (sämtliche Stellen findest du am Ende dieses Textes).

Die Frage, die für Maurus Federspiel die Grundlage für einen offenen Brief in einer der reichweitenstärksten Zeitungen der Schweiz ist, lässt sich also mit einer simplen Mail-Anfrage beantworten – wenn man denn möchte.

Bleibt die Frage: Wie kommt es dazu, dass die reichweitenstärkste Qualitätszeitung der Schweiz trotzdem einen offenen Brief dazu veröffentlicht?

Warum lesen wir in einer links-liberalen Zeitung plötzlich von der "totalen Durchmischung aller Völker"?
"Totale Durchmischung aller Völker", "durchwirkte Kulturkreise", "Integration als Bringleistung", "urbaner Moloch" – Maurus Federspiel im 'Tages-Anzeiger'

Über die letzten Jahre sind die Schweizer Medien immer stärker nach rechts gerutscht. Die Speerspitzen dieser Bewegung sind die SVP-nahenWeltwoche und die Basler Zeitung. "Die Journalisten haben darauf reagiert, wie die Bevölkerung die Weltlage einschätzt, und haben sich entsprechend auch ein bisschen angepasst", erklärt Rainer Stadler, der seit 29 Jahren für die NZZ über Medien schreibt, diesen Wandel. Diese Einschätzung teilt laut SRF auch der emeritierte Professor und Medienwissenschaftler Roger Blum.

Zuwanderung gehört laut dem Sorgenbarometer der Credit Suisse seit Jahren zu den grössten Sorgen der Schweizer Bevölkerung. 2017 landen Ausländer und Ausländerinnen auf Platz 3 der grössten Sorgen, Flüchtlinge und Asyl auf Platz 6. Berichten Medien wie die Basler Zeitung aus einer rechten Perspektive über diese Themen, erreichen sie insbesondere online ein dementsprechend grosses Publikum.

Bleibt die Frage: Wie kommt es dazu, dass in einer links-liberalen Zeitung plötzlich ein Text erscheint, der auch von rechtsextremen Parteien wie der PNOS weiterverbreitet wird?

Auf meine Nachfrage in der Redaktion des Tages-Anzeiger, was die Argumente dafür waren, den Text zu publizieren, bekam ich eine klare Antwort: keine Auskunft.


Ist Zuwanderung wirklich ein Problem?

"Wie verträgt sich diese starke Zuwanderung mit der Einrichtung des Sozialstaats? Stöhnen nicht heute schon viele Gemeinden unter der Last der Aufwendungen für Soziales? Glauben wir, über einen Garantieschein für immerwährenden Reichtum zu verfügen?

Und wie lässt sich der Anspruch auf weibliche Emanzipation mit dem Erstarken des Islam vereinbaren? Die Handschlag-Verweigerung gegenüber einer Lehrerin an einer Aargauer Schule ist nur ein unheilvolles Vorzeichen. Was ist mit den vielen jetzt schon verschleierten Frauen? Lässt sich das so einfach als freie individuelle Wahl abtun? Oder ist es vielmehr Ausdruck der Verpflichtung an ein anderes Gesetz?" – Maurus Federspiel im 'Tages-Anzeiger'

Einen seiner Weltwoche-Texte aus dem Jahr 2017 beginnt Maurus Federspiel mit den Worten: "Ja, ich bin reaktionär". In seinem offenen Brief wirft Maurus Federspiel viele Fragen zu grossen, sehr emotional diskutierten Themen auf, liefert aber wenig Antworten. Natürlich kann man diese Fragen diskutieren, die sachlichen Antworten werden aber kaum aus der Kommentarspalte geliefert.

Exemplarisch für den inhaltlichen Gehalt des Textes von Maurus Federspiel möchte ich folgende Stelle hervorheben:

"Integration hat Liebe zur Voraussetzung – Liebe zu einem Land, zu einer Sprache oder Kultur, Liebe zuerst einmal aufseiten des Zugewanderten: Integration ist eine Bringleistung." – Maurus Federspiel im 'Tages-Anzeiger'

In der Schweiz gibt es ein Integrationsmodell, das schweiz- und sogar europaweit als Vorbild angesehen wird, das Basler Integrationsmodell. Der Schweizer Nachrichtendienst lobt das Modell als "das beste und nützlichste Instrument im Kampf gegen Fundamentalismus". Dieses Modell hat einen Slogan: Fördern und Fordern – vom ersten Tag an, verbindlich. Integration versteht es als Geben und Nehmen, als gemeinsames Projekt von Migranten und der Schweiz. Man kann nun den Erfolg dieses Ansatzes anerkennen, oder sich sein eigenes Integrationsmodell konstruieren. Ohne jegliche Faktengrundlage.

Bleibt die Frage: Wie kommt es dazu, dass eine links-liberale Qualitätszeitung ein lediglich auf Gefühlen einer Einzelperson basierendes Pamphlet veröffentlicht, das eine der grössten Ängste der Schweizer Bevölkerung bearbeitet?

Diese Frage wird auch nicht beantwortet, wenn der Tages-Anzeiger einen Tag später einen Gegenkommentar online stellt. Der Post auf der Facebook-Seite der Partei National Orientierter Schweizer bleibt – und damit auch der sehr fahle Beigeschmack.
Mit vortschreitendem Alter, werd' ich zunehmends zu faul so zu tun als nehme ich keine Psychoaktiva!

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nexus
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von nexus »

zitig läse, da stimmt d'helfti öppe eh nöd. hätmr scho als chind so xait.
bringt na uf komischi gedanke wie,


z'denke git au de nägscht furz vode svp
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illusion
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von illusion »

Müslüm isch geile Siechch: "Sind Sie integriert?" Natürläch isch die Frag amene Leuebärger luschtig inecho, aber inzwüsche bedütet integriert si meh, als de Meischte bewusst isch. Bevor i jetz losballere mit Meinige und Erläbnis us de letztschte Paar Mönet, überlegg i mir, wo ich nid integriert bi, mehrfachi Minderheit, es Einhorn - oder ganz eifach e Mönsch, wo langsam aber sicher Eriträisch und Somali müesst afo lerne. Mir hei da e Bärner, de cha null Frömdsproche, isch au susch chli z rächts igstellt für sin Job - ich mag aber sin Humor :-D Är schliesst sich aber sälber us - dur sini altigsässni Istellig - und d Meinig, d Füchtling sötted scho Bärntüsch chönne, no bevors s Mittumeer dürschwomme hend.

Corpus Delicti: Integration ist die tägliche Auseinadersetzung zwischen dem, was ich mir unter ICH so vorstelle - und dem, was nötig ist, um allen anderen genügend Freiraum und Luft übrig zu lassen, ohne dabei zu versauern, jemanden in die Luft zu jagen... und vor allem: Von niemandem in die Luft gejagt zu werden 8-[

De klappts au mit Müslüm, Eidgenoss, Squipi, oder em Japanes vorem Bucherer /bigs
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nexus
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von nexus »

:-k :-k


:-k :-k :-k :-k


:P
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Der Fragensteller
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von Der Fragensteller »

Am besten gefällt mir ja folgender Satz an dem 'offenen 'Brief":
Federspiel hat geschrieben:"Manche meiner Freunde haben Eltern, die seit fünfzig Jahren hier leben, ohne einen einzigen fehlerfreien deutschen Satz sprechen zu können. 
Ja auch in meinem Freundeskreis ist das so, wir nennen sie Romands oder Welschschweizer und Ticinesi.

/bigs /bigs /bigs
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Der Fragensteller
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von Der Fragensteller »

nexus hat geschrieben: Der Bunte Kiosk der Presselandschaft
"Das soll ich Ihnen glauben?" - "Das müssen Sie ja, wir haben ja keine Zahlen!" /doof so gail!!! /doof

I ha scho vor einiger Zyt ufghört 20min u so Zytschrifte z läse! Da wirsch richtig i ne depressivi, schwäri Decki yglullet!

Gwüssi Lüt versueche grad so viu wytreichendi Zytige u Medie ufzchouffe wie nur müglech. Wiu si ganz genau wüsse, dass insbesondere ire direkte Demokratie die einzigi Müglechkeit d'Mönsche z beyflusse die isch, iri Meinig z forme.
Der Blick zum Bispiu, seit das ja ganz unverblüemt:
Blick - macht Meinung
Wenn me der Input vo dene kontrolliert wo vo Morge bis abe verbisse schaffe u froh sie überhoubt e Job z ha - ufem Wäg zur Arbeit '20min' läse, früsch am 5i im Gratiszytigsfach, ufem wäg Hei dr 'Blick am Abend' - wird me so schön vo däm Mix us negative Nachrichte u unnötigem Klatsch u Tratsch yglullt, dass me ungeniert faht afe nacheäffe was sie eim vorgäbe.

I säge ja nid dass das gloge isch, was i de Zytige steit. Jedefaus nid immer. Aber entweder stimme d'Mängeagabe oder d'Grösseverhäutniss nid oder es isch usem Zämehang grisse. Oftmaus wärde Sache bewusst so dargsteut, aus wäri das Massephänomen, wenns in würklechkeit isolierti Einzufäu si oder es wärde bewusst keni Grösseverglyche gä oder erwähnt, wie oft dass das vorchunnt.

Lüg chame da niemerem vorwärffe u es cha ou niemmer z'Gägeteu bewyse.

Es isch insbesondere erschreckend wie viu Staatsmedie sofort unreflektiert ufene Wäue ufspringe und Verurteile, statt z versuche differenziert Bericht z erstatte. (CNN,ABC,Channel4 usw.)

Wenn irgendwo irgend eine Stirbt isch der Schudig so schnäu gfunde, dass jede Fernsehdetektiv us ere Servalapromi-kitsch-vormittagssitcom sini wahrei Freud dran hät, wenn im Nahe Oste eine Furzet, wüsse mer 5min. vorane scho weli Partei jetzt Schuud treit u wenn irgendwo e Räpper wider irgend eim Verbal uf d'Füess trätte isch, bringt jedes Vororts-chäsblatt e genaui Abhandlig vom Zwist.

Brot und Spiele für die Massen haut, isch nid gad eifach für mi, da der Überblick z bhaute und mir müglechst Unparteiisch oder Fair e Meinig z biude!

Si schyne haut ou bsunders guet drinne z Sy der Spiess unzdräie. So im Sinn vo: we ig das z'ersch vo dier bhouptet ha, chasch du das nümme gäge mi verwände. Die Pouseplatzspili funktioniere, wiu mir aui chlei nach däm Muster gstrickt si, dass mir ere Gägedarstellig wo z glyche bhouptet wi das wo der Gägenüber soäbe useglah het weniger Gloube schänke.

So chame bhoupte aui sueche geng nur Konfrontation oder versueche d'Schwyz z teile, we me säuber gad druff u dranne isch das z fabriziere oder säge das dise oder jene e Diktatur wot errichte, weme gad dranne isch d'Meinigsviufaut yschränkt nume das die eigete Argumännt me ghör finde.

I probiere mi gad echley abzschotte vo de Massemedie. I widerhole mi, aber: wenn me mau zumene Thema, wo me sech so richtig guet uskennt e Bricht lisst, de xeht me wie viu Verdräiereie u blanki Lüge so ine Voukszytig gschmieret wärde.
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von illusion »

Journalisten sind Spezialisten - in Sachen Buchstaben. Lasst uns daran kritisch laben. Die Wahrheit und die Realität kann nicht in Worten erfasst werden, solange sie nicht von mehreren Köpfen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden kann. Und das - wird sie vielleicht auch nie können. Eine Meinung kann man sich bilden - blind in irgendeine Richtung wird man trotzdem bleiben. Die dunkle Seite des Mondes ist in jedem Gehirn allgegenwärtig. Für blinde Flecken eignet sich, das Herz zu Rate herbeizuziehen. Erst die Beiden vereint ermöglichen sowas wie Sehen. Und manchmal ist keine Meinung die bestmögliche :-#
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von Der Fragensteller »

Terence McKenna hat mal gesagt: Ein wahrer Psychonaut ist in gewisser weise ein Anarchist, er hängt nicht einer Religion nach oder einer gewissen Lehrmeinung. Weil wenn man von etwas überzeugt ist/ an etwas glaubt, hällt das einem automatisch davon ab etwas anderes zu prüffem/glauben.
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Hikikomori
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von Hikikomori »

https://www.woz.ch/1832/urlaub/sommer-des-unbehagens
Nr. 32/2018 vom 09.08.2018
Urlaub
Sommer des Unbehagens

Ferien machen, während sich Europa abriegelt, Horst Seehofer gegen «Asyltouristen» hetzt und ein selbsternannter Schriftsteller in einer grossen Schweizer Tageszeitung seine Ressentiments ausbreiten darf? Gedanken einer soeben Zurückgekehrten.

Von Sarah Schmalz

Das eigene Leben im Falschen: Sprungbrett an einem griechischen Strand.
Foto: Kypros, Getty

Das Unbehagen überfällt mich in einer Kieselbucht, deren Wasser so klar ist wie ein Bergsee. Ein paar Nackte lassen sich vom Wind streicheln, der schäumenden Glanz über die Meeresoberfläche jagt. Mehr Zen geht nicht.

Nein, «überfallen» ist nicht das richtige Wort. Das schale Gefühl hat sich vielmehr ganz allmählich in mir festgesetzt. Es stört den morgendlichen Blick vom Apartmentbalkon über weisse Häuser und einen kleinen Hafen, es nervt mich beim Trinken griechischen Weins – und beim Versuch, auf Fusspfaden über karge Klippen auch noch den letzten Rest Alltagsanspannung loszuwerden. Doch es ist nicht bloss das übliche Erschrecken über die eigene Dekadenz, die mich auf der kleinen Insel irgendwo zwischen dem europäischen Festland und dem afrikanischen Kontinent heimsucht. Nicht nur das vertraute Hadern mit der eigenen Inkonsequenz: weil man sich in ein klimaschädliches Flugzeug gesetzt hat, um es sich in einem Land, das durch eine endlose Krise taumelt, noch besser gehen zu lassen als zu Hause, in der saturierten Bankenzentrale. Ja, und weil die Gedanken verkümmern, wenn man hier nicht ab und zu rauskommt, weil man das Meer liebt und die Weite und Tiefe dieses anderen Landes, das so viel mehr Grosszügigkeit kennt als das eigene. Wer lebt schon ohne Widersprüche.
Und ständig grinst Seehofer

Doch in diesem Sommer droht etwas zu kippen. Während ich bade, irren auf dem Mittelmeer Schiffe mit gestrandeten Menschen umher. Der italienische Innenminister Matteo Salvini hetzt gegen Flüchtlinge, Europa riegelt sich ab. Hunderte Menschen ertrinken – wieder einmal. Und nachdem vor fünf Jahren die bis dahin kaum beachtete Katastrophe auf dem Meer couragierte BürgerInnen auf den Plan rief, die dem Versagen ihrer Regierungen nicht tatenlos zusehen konnten, werden sie nun zu Schuldigen gemacht. Das Gift der RechtspopulistInnen wirkt: Ihre zynische Erzählung vom naiven Gutmenschentum der RetterInnen, die mit ihrem Einsatz die Flüchtlinge erst in den Tod lockten, hat sich in den Köpfen festgesetzt. Unvorstellbares ist normal geworden: Wer Menschen vor dem Ertrinken rettet, landet auf der Anklagebank.

«Oder soll man es lassen?», fragt lakonisch die einst für intelligente Analysen bekannte deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» ins Sommerloch. Sie hätte auch gleich rufen können: «Sollen wir ein paar Hundert Menschen ertrinken lassen, damit auch der hinterletzte Afrikaner kapiert, dass in Europa nichts zu holen ist?» Dabei gibt es genügend MigrationsexpertInnen, die echte Erkenntnisse liefern: über ausbeuterische Strukturen und darüber, dass sich Menschen, die vor Hunger, Krieg und Hoffnungslosigkeit fliehen, auch nicht von einer restriktiven Migrationspolitik aufhalten lassen. Aber sie bieten weniger mediales Spektakel als die lauten PanikmacherInnen. Ständig grinst Horst Seehofer in die Kameras und erzählt dem Wutbürger, er werde das Problem mit den «Asyltouristen» bald ein für alle Mal lösen.

Und weil die Stimmung erst einmal angeheizt ist, kommt ein Mesut Özil gerade recht. Oder ein Xherdan Shaqiri: Fussballer, die im Erfolg bejubelt werden. MigrantInnensöhne, die sofort wieder zu Fremden erklärt werden, wenn sie sich nicht wie Wunschmusterknaben der Nation verhalten.
Athener Erkenntnisse

Athen, diese Stadt im äussersten Süden Europas, ist gebeutelt, ist dreckig, laut und heiss. Sie hat tausend wilde Ecken und pulsiert in der Nacht, wenn ihre BewohnerInnen in den Bars der Zermürbung trotzen. Ich fühle mich der Zerrissenheit dieser Stadt näher als der Zufriedenheit zu Hause. Doch das Unbehagen, das die hysterischen News ein paar Tage zuvor auf der Insel ausgelöst haben, steigert sich zu unbequemen Fragen: Wo driften wir hin? Und: Geht das gerade noch, Touristin sein?

Vielleicht war es von vornherein naiv, an ein Europa zu glauben, das auf einen progressiven Endpunkt zusteuert. Auf eine Zukunft mit Lösungsansätzen für die drängendsten Probleme unserer Zeit: den Klimawandel, die wachsende soziale Ungleichheit, das zerstörerische Konsumverhalten des Westens. Aber es war dieser Glaube, der das eigene Leben im Falschen erträglich machte. Ich lasse mich durch die Stadt treiben und frage mich, ob ich nicht hier leben müsste: wo alles gegenwärtig ist. Alles sichtbar: die Ungleichheit, die Menschen, die von unserem System zu Ausgeschlossenen gemacht werden, die Gestrandeten.

Meine Athener Bekannten können die Augen nicht davor verschliessen. Die Fragilität, das Instabile, die Krise ist unmittelbar in ihr Leben eingebrochen. Ein Abend auf einem Balkon macht mir das bewusst. Er befindet sich in Exarchia, einem Quartier, das Anziehungspunkt für junge AnarchoromantikerInnen aus ganz Europa ist. Auf dem Hügel oberhalb der graffitibesprühten Häuserzeilen schlagen sie gerne ihre Zelte auf. «Riecht es in meiner Wohnung nach Pisse?», fragt meine Freundin. «Natürlich riecht es nach Pisse. Das ganze Quartier stinkt nach Pisse.»

Im zerfallenden Haus gegenüber wohnen die Vergessenen. Flüchtlinge aus dem Maghreb haben es besetzt. «Djamal ist der Anführer», sagt meine Gastgeberin. Wir werden ihm später auf der Strasse begegnen: ein abgeschlagener Typ mit einer langen Narbe im Gesicht, die von einem Messer herzurühren scheint. Die jungen Männer, die bei Djamal gelandet sind, sind vornehmlich aus dem Maghreb hierher geflüchtet. Manche sind fast noch Kinder, doch ihnen steht eine andere Welt ins Gesicht geschrieben, eine dunkle, gewaltvolle. Im Quartier, das früher den Punks und RevoluzzerInnen gehörte, haben die Drogenhändler übernommen. Manchmal fühlt meine Freundin Hass. Weil sie den ständigen Lärm nicht mehr erträgt, dieses immerwährende, dröhnende Elend, das sie nicht eine Nacht ruhig schlafen lässt. Oft schreit sie dann «Shut the fuck up!» von ihrem Balkon. «Danach schäme ich mich», sagt sie, «weil ich eigentlich Mitleid mit ihnen habe.»
Empörung abschleifen

Wir machen uns zu einem Festival auf, das auf dem Hauptplatz des Quartiers stattfindet. Jeden Abend spielen hier dieser Tage MusikerInnen gegen die Verrohung an. Der Anlass wird von einem Kollektiv organisiert, wie es sie seit Ausbruch der Krise überall in der Stadt gibt, um selbstorganisiert für mehr Lebensqualität zu kämpfen. Es gebe keine Alternative zur Solidarität, sagt meine Bekannte. Ihre Wut richtet sich nicht gegen die Flüchtlinge, sondern gegen den ignoranten Norden. «Dass die Menschen hierher fliehen, ist nicht das Problem», sagt sie. «Sondern dass uns Europa mitten in der Krise alleine lässt. Diese Gesellschaft wurde ohnehin schon an den Rand des Verkraftbaren gedrängt, und nun sind alle diese Menschen mit noch viel grösseren Problemen hier, und wir müssen sie irgendwie auffangen.»

Überall in Europa gibt es Menschen wie sie. Menschen, die sich nicht aufhetzen lassen. Wir sind die ungehörte Mehrheit, und wahrscheinlich ist das der Kern meines Unbehagens: die Frage, wie uns die öffentliche Debatte derart entgleiten konnte. Es ist die Strategie der RechtspopulistInnen, unsere Empörung ganz langsam abzuschleifen. Die Medien sind ihre willfährigen Gehilfen: Wenn gefühlt nur noch das «Flüchtlingsproblem» verhandelt wird, erfüllen sie damit die zweite Absicht der Rechten: dass wir nicht mehr über die echten, strukturellen Probleme reden. Die MachthaberInnen können sich zurücklehnen und sich auf die Verteidigung des Status quo konzentrieren. Das macht diesen Sommer so schal: In der Sonne zu liegen, fühlt sich an, als würde man sein stilles Einverständnis zu all dem geben.
Rückkehr in die Komfortzone

Wie bei jeder Rückkehr kommt mir Zürich seltsam ruhig vor. Als wäre die Stadt mit Watte ausgekleidet, die alle Geräusche schluckt. Keine hupenden Autos, keine laute Musik, kein Chaos, nirgends. Geräuschlos schieben die Menschen ihre Räder über die Hardbrücke, vor dem Bürofenster tobt nur der Fluss, auf dem seltsame Formationen aus Einhörnern und Flamingos vorbeitreiben. Die satte Stadt dümpelt in der Hitze vor sich hin. Das Büro ist ausgestorben, die meisten KollegInnen noch in den Ferien, als ich eine grosse Schweizer Tageszeitung aufschlage und über den verstörendsten Text dieses Sommers stolpere. Er ist so schlecht, dass man sich den Namen des Autors, der nicht mehr vorzuweisen hat als einen brillanten Vater, gar nicht erst merken sollte. Der Sohn also tut in einem offenen Brief an Bundesrätin Simonetta Sommaruga sein eigenes «Unbehagen» kund. Er schreibt von der «Durchwirkung der Bevölkerung mit Fremden», von «Enklaven in der angestammten Schweizer Kultur»: Nazijargon in der linksliberalen Presse.

Ich sollte mir eigentlich Themen überlegen für nach der Sommerpause. Aber es ist nicht zu ertragen. Also erst einmal abtauchen, in die Strömung des Flusses.
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von nexus »

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Liebe Respekt Anarchie
illusion
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Re: Wutbürger: Offener Brief der kein wirklicher Brief ist

Beitrag von illusion »

there is nothing real outside our perception of reality
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