Der c.g.jungsche LSD-Trip: Ein Erlebnisprotokoll

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Yagé
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Der c.g.jungsche LSD-Trip: Ein Erlebnisprotokoll

Beitrag von Yagé »

Juni 2010

Erlebnisprotokoll


Substanz: d-Lysergsäurediethylamid (LSD 25)

Darreichungsform: flüssig „Berliner Spearmint Drops“

Dosierung: circa. 100 mµ (Mikrogramm)

Befindlichkeit: freudig, neugierig, sommerliche Stimmung, stabil
Kollektivereignis Fußball-WM 2010


Örtlichkeit: Barfuss-Spaziergang in stätischer Umgebung hin zur Natur


Begleitung: zu Beginn mit ehemaligen Mitbewohnern, später alleine

Intension: heuristisch und hedonistisch, spontan und unstrukturiert

Einnahmezeit: ca. 12:30

Ausklingzeit: ca. 22:00

Protokoll:

Um mich der Geschehnisse bildhafter zu erinnern werde ich innerhalb des Textes gelegentlich von Präteritum zu Präsenz wechseln.

Es war ein warmer, sonniger Sommertag in einem Randquartier der Stadt Bern.
Ein klarer, blauer Himmel überspannte die gesamte Stadt. Ich war arbeitshalber gerade für ein paar Wochen auf dem Wagenplatz zu Besuch,
auf welchem ich zuvor die letzten vier Jahre gewohnt hatte.
Eine kleine Gruppe von drei Personen- zwei Männer und eine Frau- und mindestens zwei Hunde (letztere bekamen kein LSD), waren gerade
im Begriff zu einer spontanen und eher Unterhaltungszwecken dienenden LSD-Reise aufzubrechen. Ich kann nicht mehr mit Sicherheit sagen,
ob ich gefragt wurde, mit einzusteigen, oder ob ich danach fragte. Jedenfalls schien mir der angebrochene, freie Tag geradezu perfekt dafür zu sein.
Auch dachte ich nicht daran eine arbeitsorientierte, psycholytische Sitzung abzuhalten. Vielmehr sollte es eine genussvolle, spielerische Reise werden.
Spontan und unstrukturiert.

Alle anwesenden Personen kannten sich schon einige Jahre vom Zusammenleben und gemeinsamen Wagenleben. Deshalb hinterfragte ich die
Gruppenkonstellation gar nicht erst und begab mich einfach aufs Geradewohl hinein.
Nach der gemeinsamen Einnahme der Substanz setzten wir uns Anfangs rund um die kalte Feuerstelle. Improvisierte Schattendächer boten etwas
Schutz vor der Sonne, die nun während einer plötzlichen Windstille, gnadenlos herab brannte. Es verging ca. eine halbe Stunde und bei uns allen
begannen sich die ersten Vorboten der Substanz anzukündigen. Mir wurde etwas flau im Magen und ich empfand die Atemluft als sehr zäh.
Auch begann sich mein Unterleib etwas zu verkrampfen. Sehr bald realisierte ich, dass ich meine Reise alleine antreten musste. Auch die Konstellation
offenbarte mir dies schließlich. So saßen die anderen drei plötzlich sehr nahe bei einander und bildeten eine homogene Einheit. Sie unterhielten sich angeregt
und harmonierten gut mit einander. Ich hingegen fühlte mich jedoch nicht dazu gehörend. Ich wurde nicht ausgeschlossen oder gemieden- im Gegenteil es
gab Versuche der Anderen mich verbal mit ein zu beziehen. Auch sie schienen die Distanz zwischen uns wahr zu nehmen. Diese Situation überraschte mich zwar,
fühlte sich aber nicht unangenehm an. Schließlich stand ich auf, erklärte ihnen, dass ich die Reise anscheinend alleine machen müsste und entschuldigte mich
für mein Fortgehen. Dieser Umstand sorgte wiederum bei den anderen für Erstaunen, doch sie ließen mich ziehen und wünschten mir eine gute Reise.
Dann machte ich mich ohne Gepäck und barfuß auf den Weg. Es zog mich Richtung Innenstadt, obwohl ich mir gerade nicht vorstellen konnte
unter fremde Menschen zu gehen.

Ich laufe jetzt ziemlich schnell und ein gewaltiger Sog erfasst meine Vorderseite, zugleich schiebt mich aber eine gewaltige Kraft von hinten an.
Je grösser die Distanz zwischen mir und dem Wagenplatz wird, desto leichter und filigraner fühlt sich mein Körper an. So als würde ich ein starkes
Gravitationsfeld verlassen.
Ich befinde mich bereits in einer Quartierstrasse, welche mich direkt in die Lorraine führen wird. Alles ist jetzt wie ausgestorben. Eine Stimmung wie in
der Highnoon-Szene eines trashigen Western macht sich breit. Keine einzige Menschenseele ist zu sehen, kaum ein Geräusch zu vernehmen.
Irgendwo in einer der Parallelstraßen ist ein Auto zu hören, aber sehr gedämpft. Auch höre ich jetzt keine Vögel singen oder Insekten summen.
Eine gewaltige, erdrückende Stille entfaltet sich über dem Ort. Mir wird übel und ich habe fürchterliches Herzrasen. Schlagartig wird mir klar, dass dies
eine sehr tiefe, herausfordernde Reise sein wird.
Angst ist jetzt in mir. Ich habe Angst davor, mich mit meinem spontanen Entscheid zur Substanzeinahme übernommen zu haben. Ich habe Angst davor
die Kontrolle zu verlieren und natürlich habe ich einmal mehr Angst davor, meinen Verstand zu verlieren. Ich kenne diese Ängste bereits und durfte/musste
sie schon das eine oder andere Mal durchstehen. Doch immer wieder erwischt es mich eiskalt, wenn sich dieses bedrohliche Gefühl der nackten Angst in mir breit macht.
Meinen gesamten Körper und mein Bewusstsein auszufüllen beginnt, wie flüssiges heißes Blei oder kaltes Quecksilber. Panik will sich breit machen und
ich biete all meinen mentalen Widerstand auf, damit dies nicht geschieht. Mein Gehirn fährt gerade das Notstandprogramm und mein Körper wird mit einer
Fülle von Stresshormonen regelrecht geflutet. Noch immer befinde ich mich im Aufstieg der Substanz. Das spüre ich ganz klar und ich fürchte mich vor
dem was auf dem Plateau kommt. Ich verfluche mich einen Moment für meine naive, arrogante Selbstüberschätzung. Dabei gehe ich immer noch weiter,
doch meine Schritte werden nun kontinuierlich langsamer. Eine rote, städtische Sitzbank rückt in mein Blickfeld und ich beschließ kurzer Hand halt zu machen.
Kalter Schweiß perlt auf meiner Stirn und lässt meine Handinnenflächen ganz kleberig werden. Ich setze mich und sogleich beruhigt sich mein Nervensystem etwas.
Ich verweile einige tiefe Atemzüge mit geschlossenen Augen und beruhige mich wieder. Es überkommt mich ein leises Gefühl tiefen Selbst- und Gottvertrauens.
Egal was auch geschieht, es darf so sein. Ich öffne meine Augen und sehe zwischen den Häuserreihen auf die gegenüberliegende, bewaldete Hangseite.
Sie pulsiert ganz leicht im Rhythmus meines eigenen Pulses und wirkt ausgesprochen lebendig. Am Fuße des Hanges mäandriert die smaragdgrüne Linie der Aare.
Millionen und aber Millionen Lichtfunken tanzen auf dem Wasser unter mir und erfüllen mich mit kindlichem Staunen.

Nach einer Weile stehe ich auf und gehe weiter. Es wird Zeit mich meinen Ängsten zu stellen. Das Zeitgefühl schwankt erheblich, kommt aber noch nicht
gänzlich zum erliegen. Ich erreiche allmählich das Lorrainequartier und jetzt nehme ich auch wieder vermehrt Geräusche wahr. Die Stille verflüchtigt sich immer schneller,
bis sie schließlich einer typischen Geräuschkulisse eines geschäftigen und stark befahrenen Quartiers Platz macht. Hier treffe ich jetzt auch das erste Mal wieder auf Menschen.
Ich beobachte die Szenerie mit Faszination aber auch Respekt. So als bestaune man eine Giftschlange, die sich wenige Meter von einen entfernt auf einem Stein sonnt.
Dann nehme ich plötzlich ein bestimmtes Geräusch wahr. Es ist mir zunächst gar nicht aufgefallen unter all den anderen Geräuschen. Es ist ein hoher, surrend-beißender Ton.
Es hört sich an wie das Summen eines wütenden Hornissenschwarms und doch irgendwie synthetisch und kalt.

Mir stellt sich die Frage ob ich da ein äußeres Geräusch vernehme oder ein Klang meiner inneren Welt. Doch die Penetranz dieses Tones lässt keine weiteren
Gedanken darüber mehr zu. Er beginnt jetzt regelrecht in mich ein zu dringen und löst in mir eine weitere Welle des Wahnsinns aus.
Gleichzeitig habe ich das Gefühl davon nieder gedrückt zu werden. Gleich muss ich mich wohl hinlegen. Ich realisiere aber noch, dass dies mitten auf dem Trottoire
keine besonders gute Idee ist. Ich schreite weiter, dabei fühlt es sich an, als würde ich beim Gehen regelrechte Fäden. Plötzlich fällt mir auf das einige Menschen vor
gewissen Lokalen verweilen. Sie bilden regelrechte Trauben und scheinen wie hypnotisiert zu sein. Dann begreife ich auf einmal, dass sie alle einer synchronen
Liveübertragung, eines Fußballspiels der Weltmeisterschaft, zu sehen. Daher stammt auch dieses immense Summen. Es ist das Getröte von zehntausenden
Plastik-Trompeten der Stadionzuschauer.

Im gesamten Quartier sind es an die ein Dutzend Lokale und Haushalte die ein Fernsehgerät auf die Terrassen gestellt haben und so für eine Simultanübertragung sorgen.
Noch immer gehe ich weiter und schreite an all dem einfach vorbei. Ich bin fasziniert und zugleich erschreckt von diesem Massenphänomen. Und ich möchte mich jetzt auf
keinen Fall davon einfangen lassen.
Nach einer Weile erreiche ich die Lorraine-Brücke und den Botanischen Garten. Ich beschließ die Wegabzweigung zu nehmen, die mich zur Aare hinab führt.
Weg vom Verkehrstrubel. Es fühlt sich herrlich an abwärts zu schreiten. Auf meinem Weg an die Aare begegne ich kaum einem Menschen. Mir ist jetzt auch klar,
weshalb ich vorhin zu Beginn meiner Reise keinen gesehen hatte. Alle verfolgen das Spiel. Ich habe keine Ahnung wer gegen wen spielt. Fußball hat mich nie interessiert.
Plötzlich stehe ich am Ufer der Aare und mein Blick folgt ihrem Fluss. Ich laufe den Uferweg entlang und für eine kurze Zeit bin ich regelrecht euphorisch und
fühle mich voller Energie. Ein Lächeln legt sich über mein Gesicht und erstarrt dort wie zu Eis. Bald fühlt es sich an wie ein Krampf und meine Gesichtsmuskeln
beginnen zu zucken. Mittlerweile kommen mir einige Badegäste entgegen und streifen an mir einzeln und manchmal in Gruppen vorbei. Mein Lächeln ist nur Fassade.
Dahinter verbirgt sich der Abgrund meines persönlichen Wahnsinns. Und wieder überkommt mich das quälende Gefühl verrückt zu werden. Ein großer, muskulöser Mann,
slawischen Einschlags kommt mir jetzt entgegen. Er trägt ein Muskelshirt und wirkt wie aufgepumpt und sein Gesicht wirkt zerknirscht und voller latentem Zorn.
Ich fürchte mich davor, dass sich unserer Wege kreuzen. Doch ich kann nicht ausweichen. Der Uferweg ist an dieser Stelle so eng, dass wir an einander vorbei müssen.
Ich intensiviere meine Anstrengungen mein Lächeln aufrecht zu erhalten. Doch es geht nicht. Mein ganzes Gesicht beginnt fürchterlich zu jucken und zu zucken.
Der Mann ist jetzt noch zwei Meter von mir entfernt und wirkt immer bedrohlicher auf mich. Ich habe Angst davor, dass er auf Grund meiner Ausstrahlung in Zorn gerät
und mich angreift. Wir kreuzen uns, er taxiert mich kurz und dann ist er an mir vorbei. Etwas entspannt sich in mir und dann beginne ich am ganzen Körper zu zittern.
Meine Knie sind weich wie Gummi. Ich verlasse den asphaltierten Weg und gelange jetzt auf eine Kiesstrasse. Meine Füße beginnen allmählich zu schmerzen.
Der Stechende Schmerz dringt über meine Fußsohlen in meinen Körper ein und beginnt meine Beine hoch zu strömen. Heiß und kalt zu gleich, steigt er in meinem
System immer höher und füllt mich aus. Dann gelange ich an einen Punkt, an welchem ich nicht mehr mit Gewissheit sagen kann, ob mein Schmerz physischer oder
psychischer Natur ist. Die Übergänge und Wechselwirkungen sind oszillierend. Dann spüre ich plötzlich eine gewaltige Last auf meinen Schultern, die mich niederdrückt.

Mein Blick wird fahrig und ich beginne meine Umwelt immer abstrakter und verzerrter wahrzunehmen. Ich schließe die Augen, muss sie schließen um weiter gehen zu können.
Trotzdem sehe ich irgendwie den Weg vor meinem inneren Sichtfeld. Er steigt an und es fühlt sich auch so an. Kurz öffne ich die Augen um das zu überprüfen,
aber der Weg führt einfach nur gerade aus und folgt dem Verlauf der Aare. Sofort beginnt sich alles wieder zu verziehen und so schließe ich die Augen wieder und
vertraue auf meine innere Führung. Wieder steigt der Weg an und die Last auf meinen Schultern nimmt stetig zu. Sie beugt mich, drückt mich, quält mich.
Sie wird zu etwas konkretem. Nimmt Kontur an. Fühlt sich kantig und holzig an. Schweiß läuft mir übers Gesicht und ich spüre ein Stechen in meinem Kopf.
Der Weg fühlt sich immer steiler an und ich werde langsamer. Habe das Gefühl zusammen zu brechen. Auch meine Kleidung fühlt sich nun anders an, als wäre
ich in grobe Lumpen gehüllt. Und dann überkommt sie mich voll und ganz, die Vision des menschlichen Leidens und ich erkenne, dass ich gerade Jesus Christus bin,
der sich auf den Berg Golgatha schleppt, unterwegs zu seiner Kreuzigung, bereit alle Sünde und alles Leiden der Menschheit auf sich zu nehmen.
Das Gewicht des Kreuzes bricht mir fast den Rücken und mein Schädel pocht. Dann überkommt mich eine innere Bilderflut von Tod, Krieg und Zerstörung.
Ich sehe all das Leid, all der vergangenen Jahrhunderte. Ich sehe die ausgemergelten Leichen der KZ-Opfer, ich sehe marschierende Armeen. Ich sehe Ströme von Blut.
Ich sehe verzweifelte, angstverzerrte Gesichter. Schreiende Kinder. Der Strom der Bilder verdichtet sich zunehmend und überschlägt sich. Ich kann dem Ganzen
gedanklich kaum noch folgen. Schließlich mündet es in die feuerroten Pilzwolken der atomaren Vernichtung. Alles wird eingedampft, zerfällt zu Staub. Dann verlässt mich
die Vision und ich öffne die Augen. Das Bild ist ruhig und ich habe scheinbar einige Meter zurückgelegt.


Ich fühle mich schwach und ausgelaugt. Ich möchte mich umgehend hinsetzten. Dazu gehe ich noch ein paar Schritte, bis ich eine einladende Stelle an
der Aare gefunden habe. Ich setze mich hin, kremple die Hosen hoch und lasse meine Füße in das kühle Wasser gleiten. Ich schaue in das wirbelnde und
wellige Wasser zu meinen Füssen und versinke darin. Mein Zeitgefühl bricht zusammen und das gedankenformende Ich verabschiedet sich, löst sich auf.
Ich werde zu Wasser, zur Aare. Es mögen Stunden vergehen, Tage, Jahre, Äonen ich weiß es nicht. Irgendwann einmal finde ich allmählich zurück zu meiner
menschlichen Form und einem rudimentären Ich-Zustand. Ich schaue mich um und realisiere, dass sich die Lichtintensität und die Farben verändert haben.
Die Sonne ist nicht mehr zu sehen und hat sich über die Stadt geschoben. Den Lichtverhältnissen nach, muss es schon früher Abend sein.

Ich stehe langsam auf und bemerke dabei, dass meine Beine eingeschlafen sind. Ich muss wirklich lange da gesessen haben. Nachdem ich meine Beine wieder
spüre und mir sicher sein kann, dass sie mich tragen, mache ich mich wieder auf den Weg.

Während ich dem Uferweg allmählich in die Dämmerung folge, überkommt mich das schwere Gefühl von Isolation. Es macht sich in mir breit und
raubt mir sämtliche Zuversicht. Mein Herz wird dabei kalt und schwer.
Da gehe ich nun, ganz alleine und verlassen und die Welt um mich herum wirkt wie ausgestorben. Ich fühle mich verraten und hintergangen.
Eben noch hatte ich doch noch die elendige Last des kollektiven Schmerzes getragen und dies soll nun die Belohnung dafür sein? Diese schreckliche Einsamkeit?
Dass ist einfach nicht fair!

Und dann erkenne ich eine weitere Analogie zu der Passion Christi. Auch Christus fand sich schließlich verlassen und gepeinigt am Kreuze wieder.
Mir wird klar, dass ich das ebenfalls zu ertragen habe. Es geht diesmal eben nicht um meine persönliche Geschichte, sondern um etwas viel Größeres.
Das Kollektiv in seiner archetypischen Bildsprache. Ein regelrechter C.G. Jung-Trip den ich da erlebe. Interessant aber auch sehr anstrengend.
Es ist das erste Mal, dass ich einen solchen tiefen, länger anhaltenden Blick in die Matrix der kollektiven Vergangenheit erlange. Überwältigend und auch etwas beängstigend.
Die gegenwärtige Fußball-WM stellt eine globale Kollektiv-Bewegung dar, in die gerade sehr viel Energie des menschlichen Geistes fließt.
Dieser Umstand scheint der perfekte Katalysator für die Erlebnisebene des Transpersonalen zu sein.

Je tiefer die Dämmerung wird, desto einsamer fühle ich mich. Doch dann steigen in mir zwei Gesichter empor. Sie wirken riesig und schweben weit über mir.
Das eine Gesicht ist jenes von T., meiner großen, verflossenen Liebe. Das andere zeigt K., einen guten Freund.
Beide lachen sie mich an und schenken mir damit neuen Mut. Ihre Blicke erzählen mir von Freundschaft, Zugehörigkeit und Verbundenheit.
Damit kehre ich zurück aus der tiefen Isolation und ich fühle mich plötzlich frei und beschwingt. Ich sauge die frische Waldluft regelrecht in mich hinein und genieße ihr Aroma,
dass leicht erdig und sandig schmeckt. Sie erfüllt mich mit neuer Energie und so trete ich den Heimweg an. Letzterer führt mich weiter die Aare hinab an
einer Schrebergartensiedlung vorbei. Dort verlasse ich den Weg und nehme eine Abkürzung. Der schmale Pfad ist wohl schon seit längerem nicht mehr benützt worden,
denn er ist komplett von Brombeersträuchern und anderem Gestrüpp zugewuchert. Dicke, dornige Ranken überspannen den erdigen Boden vor mir und mir wird klar,
dass es mir barfuß kaum gelingen wird, dornenfrei dadurch zu kommen. Dennoch möchte ich nicht umkehren. Stelle dich den Widrigkeiten des Lebens, denke ich und
taste mich sachte vorwärts, hinein in das kratzende Dickicht. Nun ist es schon beinahe dunkel und ich taste mich regelrecht voran. Doch erstaunlicherweise trete ich nie
auf eine der Brombeerranken.

Schließlich erreiche ich das Ende des Pfades und ich werde auf eine asphaltierte Straße entlassen. Gleisendes Scheinwerferlicht wirft sich mir entgegen. Dabei handelt es ich
um die Außenbeleuchtung diverser Industriegebäude. Parallel zu meiner Rechten, säumen Bäume die Straße. Schlanke hochgewachsene Buchen, mit silbrig schimmernder Borke,
die sich majestätisch in den nächtlichen Himmel erstrecken. Sie wirken erhaben und einladend. Ich nähere mich ihnen und werde von ihnen magisch angezogen.
Eines dieser wunderbaren Geschöpfe zieht mich vollends in seinen Bann und ich lege meine Hand auf seinen glatten Stamm. Die Rinde unter meiner Hand fühlt sich
erfrischend und wärmend zugleich an. Und in den unzähligen Kapillaren meiner Hand beginnt es regelrecht zu kitzeln. Schließlich vibriert meine gesamte Hand in einer
unglaublich belebenden und angenehmen Frequenz. Davon bin ich so fasziniert und von Zuneigung erfüllt, dass ich mich ganz nah an den Baum stelle und ihn sachte umarme.
Als sich meine Arme um den Stamm schließen, fühlt es sich an, als würde ich von einem elektrischen Feld gefangen. Augenblicklich partizipiert mein Energiesystem mit jenem
der Buche und wir werden eins. Aber nicht auf diese verkopfte, metaphysische Art, sondern ganz konkret und körperlich.

Ich fühle, wie dieser Baum Wasser, Mineralstoffe und Lebensenergie über seine Wurzeln aus dem Boden zieht, in sich hochsteigen lässt, um dann all das bis
in die feinsten Verästelungen seiner Blätter strömen zu lassen. Und ich bin gerade Teil davon. Einfach großartig. Fantastisch. Ich werde Baum und das
fühlt sich orgastisch an. Ein immenses Glücksgefühl erfüllt uns und ich nehme ein kullerndes, rollendes Geräusch an uns wahr. Dann realisiere ich, dass ich lache.
Ich lache voller Wonne, frei von den Untertönen beißenden Sarkasmus. Liebe und Zärtlichkeit erfüllen mich und stimmen mich milde und gütig.
Die Möglichkeit einfach hier zu bleiben und gänzlich Baum zu werden, ist sehr verlockend, doch eine höhere Instanz in mir, rät mir davon ab, meine menschliche Form
hier und jetzt aufzugeben. Dies würde entweder mit einem psychiatrischen Aufenthalt oder einer kompletten Molekularen-Assimilation enden. Beide Optionen wollen
mir nicht wirklich gefallen, so löse ich mich allmählich aus der ekstatischen Umarmung. Zum Abschied küsse ich die Buche zärtlich und streichle sie sanft.
Ich bedanke mich und sage ihr, dass es mir leidtut, dass ich nun gehen müsse, aber ich könne nicht länger bleiben. Liebestrunken und regelrecht wattegepolstert
torkle ich zurück auf den Gehsteig.

Noch immer vibriert mein gesamter Körper in der Schwingung des Baumes, gelangt aber mit jedem weiteren Schritt in Richtung Wagenplatz, wieder in seinen eigenen Takt.
Das beruhigt mich und mein Bewusstsein sammelt sich wieder. Fließt zusammen wie einzelne Wassertropfen in einer Schale und verdichtet sich zu jenem Bündel
neuronaler Aktivität, welche dem des Menschen entspricht. Immer noch erheblich erweitert, aber mit einer sich allmählich verfestigenden Ichstruktur.
Da wird mir klar, dass der Trip langsam zu Ende geht, doch bevor es gänzlich vorbei ist, stoße ich noch auf ein weiteres Geschöpf aus dem Reich der Pflanzen.
Dabei handelt es ich um einen dichten Busch Wallwurz- auch bekannt als Beinwell oder seinem botanischen Namen Symphytum, der sich seinen mageren Standort
wohl mühselig auf dieser schorfigen Industriebrache erkämpfen musste. Und gerade deshalb sticht er regelrecht heraus.
Mir ist bekannt, dass es sich bei Wallwurz um eine potente Heilpflanze handelt, die vorwiegend bei Quetschungen, Verstauchungen und Knochenbrüchen zur Anwendung
kommt und die Heilung erheblich beschleunigen kann.

Die Pflanze steht gerade in der Blüte und einem inneren Impuls folgend, umfasse ich mit meiner Hand ein paar davon. Dabei achte ich darauf, dass ich sie nicht
verletze und ich spüre wieder meine Hand vibrieren. Diesmal ist die Vibration jedoch lokal und wesentlich schwächer, als vorhin bei der Buche. Nach einem Augenblick
nehme ich meine Hand zu mir und behalte sie zur Faust geballt. In ihr bleibt etwas von dieser Vibration erhalten und plötzlich begreife ich, dass ich mich sofort zu J.
begeben muss. Sie ist eine Freundin und ehemalige Mitbewohnerin von mir, die scheinbar seit längerer Zeit bereits Problem mit ihrem Unterarm hat.
Ich überquere die Brache zügig und zielstrebig, so dass ich die Wagenburg, die sich etwas abseits dahinter befindet, erreiche. Ich steuere sofort J.`s Wagen an und klopfe.
Die Tür steht bereits offen und schummeriges 12-Vol-Licht dringt daraus hervor. Ich warte einen Augenblick, dann ruft sie mich herein.
Nach einer kurzen Begrüßung fordere ich sie dazu auf, mir ihren schmerzenden Arm entgegen zu strecken. Sie tut wie ihr geheißen und in ihrem Blick steht
neugierige Verwunderung und zugleich auch etwas Furcht.

Sie will gerade eine Frage stellen, aber ich hebe eine Hand und bedeute ihr zu schweigen. Mit der anderen Hand, die bis jetzt noch immer mit geballter Faust an
meinem Bauch ruhte, umfasse ich sanft, aber bestimmt die Innenseite ihres Ellenbogens. Ich schließe die Augen und atme ganz langsam aus.
Gleichzeitig spüre ich wie die kleine Kugel Wallwurz Essenz von meiner Handinnenfläche in ihren Ellenbogen wandert und sich von da in ihrem Arm verteilt.
Ich öffne die Augen und sehe, dass J. etwas steif dasteht. Sie hat ihre Augen fest zugekniffen, wohl in Erwartung Schmerzen zu spüren.
Dann entspannt sich ihr Gesicht und sie blickt mich lächelnd an. In ihrem Blick liegt ein Ausdruck des Erstaunens.
Sie teilt mir mit, dass nun sämtliche Schmerzen weg seien. Letztere seien regelrecht fortgeblasen.

Wir unterhalten uns eine Weile und ich erzähle ihr von meiner Begegnung und Eingebung. Sie bedankt sich herzlich bei mir, worauf ich ihr zu verstehen gebe,
dass ich nicht alleine dafür verantwortlich sei und es genüge, wenn sie sich bei der Natur bedanke, damit wären sie, ich und alle anderen Faktoren ebenfalls eingeschlossen.
Bald darauf geht sie zu Bett und ich beschließe es ihr gleich zu tun, denn nun bin ich sehr müde und auch die Wirkung des LSD`s hat sich bis auf ein
sanftes Nachglühen verflüchtigt.

Auf dem Weg zu der Gästeunterkunft komme ich an der Feuerstelle in mitten des Platzes vorbei, an welcher wieder oder noch immer, die Dreiergruppe von heute Mittag sitzt.
Sie unterhalten sich sehr angeregt und auch ihnen haftet dieser fühlbare LSD-Schimmer an. Bei ihnen scheint die Substanz noch aktiver zu sein, als dies bei mir
der Fall zu sein scheint. Ob es wohl daran liegt, weil sie als Gruppe reisen, oder aber sie haben eine weitere Dosis eingenommen? Ich entschließe mich dazu, mir nicht
weiter den Kopf darüber zu zerbrechen und gehe stattdessen auf sie zu.

Zunächst bemerken sie mich gar nicht ob ihrer vertieften Konversation. Dann schaut einer von ihnen in meine Richtung und sogleich werde ich willkommen geheißen
und mit Fragen gelöchert. Dabei scheint sie vor allem meine Abwesenheit am meisten zu interessieren. Sie gestehen mir, dass sie zu Beginn der Reise schon etwas
verstört gewesen seien, als ich so plötzlich von ihnen davongelaufen sei.
Darauf lege ich ihnen meine Beweggründe dar und reflektiere dabei auch gerade, dass eine oder andere Erlebnis, jedoch ohne allzu sehr auf die Details einzugehen.
Ich möchte die erfahrenen Eindrücke erst einmal etwas sacken lassen und eine Nacht darüber schlafen.
Ich bleibe noch einen Moment bei der Feuerstelle sitzen und wir unterhalten noch etwas. Dabei erzählen meine anfänglichen Mitreisenden,
von ihren Erlebnissen und Eindrücken. Sie scheinen die Reise mehrheitlich als eine Einheit und die Erlebnisqualität des Stammes und Rudels erlebt zu haben.
Schließlich lege ich mich schlafen und entschwinde in ein traumloses Nichts…
...zünde lieber eine Kerze an, anstatt die Dunkelheit zu verdammen!

...und was wir im Feuer verlieren finden wir in der Asche wieder!

...aber die wichtigsten Dinge, sind ohnehin nicht Dinge!
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