Meine erste, traditionelle Zazen-Praxis

Mysteriöse Erfahrungen, Weisheiten, Rätselhaftes.
Antworten
Sven

Meine erste, traditionelle Zazen-Praxis

Beitrag von Sven »

Ein herrlicher Tag beginnt. Diese Herbsttage im November sind selten, aber ich liebe sie. Anstatt in das Grau des üblichen Hochnebels wird man in sanfte Sonnenstrahlen gehüllt. Sie verlieren die meiste Energie bereits in der Atmosphäre, sind aber gerade noch stark genug, dass ich meine Sonnenbrille zum Autofahren brauche.

Der Gruppenraum des ökumenischen Zentrums das ich suche befindet sich offenbar über einem Einkaufszentrum. Ich parke meinen Wagen auf dem abseits gelegenen Parkplatz, fahre dazu am Einkaufszentrum vorbei, erblicke aber nur das Seniorenzentrum das ebenfalls über dem Einkaufszentrum liegt.
Da nur eine einzige, steinerne Wendeltreppe nach oben führt, versuche ich mein Glück. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Die Sonnenbrille lege ich aber anstandshalber ab und verstaue sie in meiner Tasche.
Bald merke ich, dass der gesuchte Raum dem Seniorenzentrum angegliedert ist. Eine Küche, eine kleine Kapelle und ein Gruppenraum befinden sich hier. Alles verhältnismässig neue, ruhige und helle Räume. Die Geräusche des Einkaufszentrums sind kaum noch zu hören.

Ich bin als erster da und etwas zu früh, werde aber sehr herzlich von der Gruppenleiterin empfangen. Ich entschliesse mich sie in mir mit „Guru“ zu benennen. Eine kleine, zierliche, ältere Frau die nichts und alles auszustrahlen scheint. Sie wendet sich wieder von mir ab und legt mit einer Gehilfin die 90 x 90 cm grossen Kissen und die Sitzgelegenheiten aus. Ein Räucherstäbchen und ihre Notizen dürfen natürlich nicht fehlen. Während dessen ziehe ich mich um. Schwarz, grau oder dunkelblau habe ich im Internet gelesen. Der Grund dafür soll ich später noch erfahren, denn ausser mir halten sich nur noch zwei Teilnehmer der Gruppe an die Kleiderregel.

Die anderen Zenschüler treffen ein. Der Durchschnitt: Graue Haare und weiblich. Ein einziger, älterer Herr trifft noch ein und stellt sich wie alle anderen mit seinem Vornamen vor.

Jeder besetzt seinen Platz. Die einen auf einer kleinen, hölzernen Sitzbank um den Fersensitz einzunehmen, andere auf dem Sitzkissen das für den Lotussitz bestimmt ist. Wer nicht so beweglich ist setzt sich auf einen Stuhl und wir beginnen.

Unsere Guru berichtet von ihrer Nepalreise, von der sie seit einer Woche zurück ist. Nein, sie erzählt uns nicht nur, sie gibt uns einiges mit. Unter anderem übergibt sie jedem eines der Glücksmantras, die sie von einem Mönch erworben hat. Als letzter hänge auch ich mir das farbenfrohe, niedliche, viereckige Klötzchen um den Hals. Sein Aussehen lässt wirklich darauf schliessen, dass es reines Glück enthalten könnte.

Unsere Guru setzt sich ebenfalls wieder und wir singen die Heilsilben der untersten fünf Shakren um sie zu öffnen. Mir ist nicht besonders wohl dabei, aber ich lasse mich soweit ich kann gehen und beteilige mich an der Übung. Danach folgt ein Text aus einem Buch. Er erstreckt sich über drei Seiten und behandelt fünf Dinge, die uns „das Sein“ im Alltag verunmöglichen. Der Text imponiert mir, aber wir finden keine Zeit uns damit zu beschäftigen.

Ehe ich nachdenken kann sitze ich im halben Lotussitz, und die Klangschale erklingt. „Werde still“ höre ich die Stimme der Guru noch sagen.... und die Stille folgt.



Pong....Pong....Pong.... erklingt die Klangschale wieder. Ich hatte mich auf eine länger Zeit im Sitzen eingestellt. Der lange Text aus dem Buch und die Nepalerzählungen hatten uns etwas Meditationszeit gestohlen, aber mir ist als Novize ganz wohl mit der Zeitspanne.
Wie die Tradition lehrt gehen wir im Schweigen. Für mich ist das sehr neu und ich kann nicht wirklich abtauchen, werde hier von einem Fuss, da von einem Baum hinter dem Fenster und allem möglichen abgelenkt.

*Klick* ertönt das Schlagholz. Jeder geht auf direktem Weg zu seinem Platz zurück. Halber Lotussitz und die Klangschale erklingt. „Lausche in dich hinein und verbinde dich mit dem göttlichen in dir“.
Mein Sitz fühlt sich gut an. Meine Aufmerksamkeit lenkt sich immer wieder dem Atem zu, auch wenn sie immer wieder von irgend etwas weggezogen wird. Man kann nicht verhindern, dass Gedanken kommen; aber man muss sie ja nicht noch zum Kaffeekranz im Hirn einladen. Die Gestalten um mich herum werden allmählich silhouettenhaft. Aber die hellgrüne Jacke die mir gegenüber an einer Silhouette hängt stört. Immer wieder zieht sie meinen Blick nach oben. Ich begreife jetzt wieso man sich dunkel kleiden soll und bin froh den anderen diesen Gefallen getan zu haben.
Im Augenwinkeln nehme ich schemenhaft die Verneigung der Guru wahr. Sie erhebt sich ohne einen Laut von sich zu geben, ergreift einen hölzernen Stab und beginnt unseren Sitz zu richten. Ich bin als zweiter an der Reihe. Da s Holz an meiner Wirbelsäule fühlt sich gut an. Ein sanfter Druck warmer Hände zieht mich an den Stab. Stück um Stück geben meine Muskeln nach und ich spüre die Ausrichtung meiner Wirbelsäule; geradewegs von Mutter Erde zum Himmel.
So soll also ein (halber)Lotussitz sein. Ich bemühe mich die Position zu halten während ich mich weiter in den Atem und in mich hinein sinken lassen will. Einige Muskel spannen, weil sie von Jahren im Bürostuhl verkürzt sind. Andere beginnen zu ermüden, weil sie sich gegen die verkürzten Muskeln abmühen. Das wird sich mit den folgenden Sitzungen ergeben.

Die Zeit vergeht.
Und ich atme.
Und ich atme.
Es atmet.
Es atmet mich.
Und es wird ansträngend.
Sehr anstrengend!

Mehrmals taucht der Gedanke auf, ich würde die Zeit nicht durchstehen. Diesmal werden mir keine Minuten geschenkt. Wie ein Segen klingt der helle Ton der Klangschale in meinem Ohr. Ich fühle mich.... ich weis gar nicht genau wie. Auf jeden Fall erleichtert. Ich kann noch nicht genau sagen was sich in mir gerührt hat, aber es hat sich etwas gerührt.
Die Übung scheint richtigen Punkt anzusetzen, denn ich glaube zu erahnen, wo es einen hinführt. Ich bin in diesem Moment fest entschlossen weiter zu üben.

Wir tauschen uns über die Meditation aus. Einige bedauern, dass der erste Block im Sitzen verkürzt wurde. Das löst eine gewisse Ehrfurcht in mir aus, wo ich doch fast froh war als ich den zweiten, längeren Block überstanden habe. Ich sehe dieser Tatsache aber sanft entgegen, denn ich will mich auch nicht mit 60 jährigen Zenschülern messen. Lieber freue mich über die Erfahrung die ich machen durfte.

Gemeinsam räumen wir auf und verabschieden uns. Trotzdem ich mir die Namen noch nicht alle merken konnte, scheine ich bereits etwas zur Gruppe zu gehören. Diese eine Sitzung scheint uns bereits ein wenig zu verbinden. Oder bin ich einfach viel mehr mit allem verbunden als noch vor zwei Stunden?

Ich ziehe mich um und verlasse den Raum. Die Sonne scheint mir wieder ins Gesicht und ich greife nach meiner Sonnenbrille.

Staunend stehe ich einen Moment still. Wie diese Welt aussieht.....Ich wünschte ich könnte jede Woche so beginnen und gehe zu meinem Auto. Ein ganzer Tag wartet auf mich.
Capablanca

Re: Meine erste, traditionelle Zazen-Praxis

Beitrag von Capablanca »

Hey Sven!

Finde es cool, dass du Zazen machst ;-)

Ich habe das auch vor ca. einer Woche mal zu praktizieren begonnen. Leider habe ich noch keine "Guru" gefunden, mit der ich das vertiefen könnte, stattdessen orientiere ich mich an verschiedenen Texten, die ich im Netz gefunden habe.
Der geschichtliche Hintergrund vom Zen-Buddhismus ist finde ich auch sehr interessant.

Obwohl ich noch so wie du ein Novize bin, merke ich bereits jetzt, wir mir Zazen zu einer Steigerung der inneren Ruhe verhilft.

Allein schon das ist Grund genug, um weiterzumachen.

Wünsche dir viel Glück auf deinem Zazen-Weg.
Sven

Re: Meine erste, traditionelle Zazen-Praxis

Beitrag von Sven »

Um sich in Zen einführen zu lassen empfehle ich das Lassalle Haus und Badschönbrunn.
http://www.lassalle-haus.org/

Danke für das Feedback, deine Wünsche und ebenfalls alles gute auf dem Weg ins Zentrum.
Benutzeravatar
Saphira
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 628
Registriert: Sa 19. Mai 2007, 19:59
Wohnort: CH

Re: Meine erste, traditionelle Zazen-Praxis

Beitrag von Saphira »

Mein Feedback hast du ja bereits, trotzdem nochmals einen kleinen Applaus für den Text. Es ist schön, wenn du damit einen Ausgleich findest.

Ich stelle mir vor, dass dies längerfristig sehr befreiend ist, wenn man es schafft, seinen Geist vom Ich und vom du zu entleeren, wenigstens für eine gewisse Zeit.

Bin gespannt, wie deine weiteren Erfahrungen sein werden und was du deiner Lehrtochter beibringen kannst ;-)
-(°_o)/¯ ┐(-。ー ┌ ヽ(´ー`)ノ ٩(͡๏̯͡๏)۶ ٩͡[๏̯͡๏]۶ ͡๏_͡๏ ٩(●̮̮̃•̃)۶ ≧△≦ 凸'へ'凸 ☽ (°ロ°)☝ ε(●̮̮̃•̃)з
Antworten