Zweites Zazen - 24. November 2008

Mysteriöse Erfahrungen, Weisheiten, Rätselhaftes.
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Sven

Zweites Zazen - 24. November 2008

Beitrag von Sven »

Wo ich hin muss, weis ich ja bereits, also machte ich mich etwas später als vor zwei Wochen, aber dennoch mit Zeitreserve auf den Weg. Er führt durch eine zuckersüss verschneite Landschaft. Nur noch ein paar Zentimeter weniger dick müsste die Wolkendecke sein, dann wäre die Sonnenbrille wieder nötig, so stark reflektiert der Schnee.

Wie diese Sitzung wohl sein wird? Jeder kennt sie; die Erwartungen, denen man sich nur zu gerne hingibt, wenn man nach einem Erfolgserlebnis eine Sache zum zweiten Mal in Angriff nimmt. Nur zu gerne möchte der menschliche Geist Dinge wiederholen. Ich versuche alle Erwartungen abzulegen. Besonders die Hoffnung, es könnte mir diesmal einfacher fallen, oder ich könnte mehr erreichen, will ich gar nicht erst aufkommen lassen. Ich mache mir bewusst, dass es alles nur einmal gibt, und in diesem Moment erreiche ich den verschneiten Parkplatz.

Die Nummer 16 scheint mir sympathisch. Ich stelle meinen Wagen ab, und ehe ich mich versehe, wate ich durch eine Mischung aus Matsch und Neuschnee. Gehe vorbei am Einkaufszentrum und zur Wendeltreppe hin. Die Dinge erscheinen mir anders als letztes Mal. Sie wirken schon nahezu fremdartig. Des Dalai Lamas Worte, dass die Dinge nicht inhärent existieren, gehen mir durch den Kopf. Wie recht er doch hat.

Ich öffne die Tür zum ökumenischen Zentrum und trete ein. Mir fällt auf, dass der Raum in dem wir letztes Mal meditiert haben leer ist. Dafür erblicke ich meine Meisterin mit einer Schülerin in der Küche. Diese beiden Menschen erscheinen mir im Vergleich zum letzten Mal sehr vertraut. Mein Augenmerk fällt auf die Schülerin. Sie ist gross, blond, komplett schwarz gekleidet, vielleicht Mitte vierzig und trägt eine Brille. Ich durfte sie letztes Mal schon kennen lernen, erinnere mich aber nicht an ihren Namen.
Es ist schwer zu beschreiben, was mir an der Dame auffällt. Anders als alle anderen scheint sie irgendwie zu leuchten. Sie leuchtet, aber nicht im sichtbaren Bereich, sondern irgendwie.... Egal. Ich wende mich den praktischen Dingen zu und helfe beim Einrichten.

Später erfahre ich, dass wir heute in der eher kleinen Küche sitzen, weil in unserem üblichen Raum die Heizung nicht funktioniert. „Es wäre unmöglich da drüben zu sitzen, und ich bin froh, dass wir hier sein können. Ich hätte euch sonst wieder nachhause schicken müssen“ sagt unsere Meisterin. Mir wird wieder bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in einem geheizten Raum zu sitzen. Ich werde ebenfalls dankbar, dass es mir heute überhaupt möglich ist, sitzen zu können. Ich wäre wohl sehr enttäuscht gewesen, hätte ich unverendeter Dinge umkehren müssen.

Nach den üblichen Ritualen setzen wir uns. Auch diesmal wird uns aus dem Buch „fünf Dinge“ vorgelesen. Ganz schön anspruchsvoll, was einem hier am Montagmorgen zugemutet wird. Ich brauche all meine Konzentration um den Text auf einmal und umfassend aufzunehmen. Genau genommen gelingt es mir trotz meinen Bemühungen nicht, den Inhalt in seiner ganzen Tiefe zu verstehen.
„Ich bin ja auch hier, weil ich ein bisschen gefordert werden will“. Denke ich mir und vertraue darauf, dass die für mich wichtigen Passagen in mich eingedrungen sind.

Diesmal sitzen wir japanisch, also gegen die Wand. Ich bin froh darüber, denn wir sitzen so eng beieinander, dass man sein Gegenüber sonst zwangsläufig im Sichtfeld hätte. Meine Fähigkeiten sind noch lange nicht soweit, dass ich eine bunt gekleidete Person im Sichtfeld einfach ausblenden und bei mir bleiben könnte.
Mein Sitz fühlt sich gut an. Er ist stabiler und lockerer als noch vor zwei Wochen. Wenn nur diese diffuse Müdigkeit nicht wäre. Dieses belämmert sein, dieser Nebel im Geist, der sich manchmal ganz schön in mir ausbreitet. Die Müdigkeit zieht sich auch immer wieder zurück, bis sie im Hintergrund meiner Wahrnehmung verschwindet. Trotzdem scheint sie aber nie ganz von mir zu weichen.
Vielleicht gerade deswegen kommt es mir vor, als hätte ich den hellen Ton der Klangschale knapp verpasst, als die Meditation beginnt. Ich lasse mich dadurch nicht beirren und fokussiere mich auf den Atem. Meine Haltung korrigiert sich fast von selbst, annähernd ohne mein bewusstes Beitragen. Meine Beine und mein Po sind schon fast mit der Erde verwachsen. Wie mit einem Klettverschluss verbunden scheinen sie fest an der Unterlage zu haften. Sie verankern mein Becken wie ein betoniertes Fundament, auf das man sein Haus bauen kann. Wie ein Baum auf seiner Wurzel richtet sich meine Wirbelsäule darauf auf.
Mein Brustbein schiebt sich noch ein wenig weiter nach vorne, sodass ich die Schultern noch lockerer hängen lassen kann. Die Haltung verfeinert sich weiter, bis ich das Gefühl habe, den Himmel mit meinem Kopf stützen zu können.
Dann taucht wieder diese Müdigkeit auf, die den ganzen, heutigen Tag zu prägen scheint. Alles in mir und um mich herum verschwimmt einwenig. Meine Augen fallen mir fast zu. Ich bin geistig irgendwo weit weg oder vielleicht auch nirgends, aber auf jeden Fall bestimmt nicht aufmerksam beim Atem. Noch im Moment des Erkennens spannt sich mein Geist wieder etwas an, die Augen öffnen sich ein wenig mehr, und ich komme zurück.
Die Müdigkeitsattacke hat mich auch körperlich erschlaffen lassen, denn meine Haltung wurde schlechter. Mit dem Bemerkten korrigiert sich auch das fast von selbst. Frisch gerichtet und wieder erstaunlich wach bündle ich mich wieder und lausche wiederum zum Atem hin. Die Übung scheint diesmal noch etwas tiefer zu gehen als in der letzten Wachphase. Dann taucht abermals diese lästige Müdigkeit auf. Dieses Wechselbad erlebe ich noch ein paar Mal, bis mich die Klangschale mit ihrem vertrauten „Pliiiinngggg“ zurückholt.

Das Gehen ist mir nicht mehr so fremd wie letztes Mal. Ich habe mich ja auch gründlich darüber informiert und mein Defizit an Wissen überwiegend beseitigt. Dieser Praxis etwas Meditatives abzugewinnen fällt mir aber immer noch schwer. Trotzdem, es ist und bleibt eine herrliche Erholung für Beine und den Rücken.

Ein „Klick“ geht durch den Raum als die Schlaghölzer unserer Meisterin aufeinander treffen. Eine mir noch unbekannte Kraft setzt an meinem Zentrum an und führt mich auf sanfte Weise zu meinem Platz. Diesmal liegt mein schwächeres Bein oben. Vermutlich wird es in den kommenden zwanzig Minuten einschlafen. Das macht mir nichts aus. Denn ich bin entschlossen weiter zu üben und mich dem vollen Lotussitz stetig zu nähern. Genau auf diese wunderbare Weise nähere ich mich meinem Selbst ganz langsam und behutsam. Atemzug für Atemzug. Wer einen Vogel genau sehen will, stürmt auch nicht auf ihn zu, sondern bleibt erst einmal stehen. Er sieht, und lauscht. Nähern wird er sich erst später, ganz behutsam. Denn sonst fliegt er gleich weg.

Dann wird es still.
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moonlightfairy
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Re: Zweites Zazen - 24. November 2008

Beitrag von moonlightfairy »

schön gschribe! /color
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Saphira
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Re: Zweites Zazen - 24. November 2008

Beitrag von Saphira »

So, bin jetzt auch endlich dazugekommen deinen Text in Ruhe zu lesen. Wie immer sehr schön in Worte gefasst! Bei der Passage mit dem einschlafenden Bein musste ich spontan grinsen… das ist einfach müüüühsam, besonders das Aufwachen danach :-) was kann man dagegen tun?

Und was ist genau der meditative Zweck des Gehens? Kann mir schon vorstellen, dass es angenehmer ist zwischen den Sitz-Blocks, aber was für eine Bedeutung hat dies im ZaZen?
-(°_o)/¯ ┐(-。ー ┌ ヽ(´ー`)ノ ٩(͡๏̯͡๏)۶ ٩͡[๏̯͡๏]۶ ͡๏_͡๏ ٩(●̮̮̃•̃)۶ ≧△≦ 凸'へ'凸 ☽ (°ロ°)☝ ε(●̮̮̃•̃)з
Sven

Re: Zweites Zazen - 24. November 2008

Beitrag von Sven »

Da stellt meine verehrte, edle Saphira wieder einmal gute Fragen. Ich werde sie selbstverständlich als Laie so kompetent wie möglich beantworten.

Ein kleiner, sprachlicher Irrtum: Zazen heisst quasi Zensitzen; also Zen im Sitzen praktizieren. Das gehen ist genauso eine Praxis aus dem Zen-Buddhismus wie das Sitzen.
Ein Ziel der Meditation ist es, den Geist einsgerichtet werden zu lassen. In gewisser Weise ist dies im Sitzen "im guten Sitz" am effektivsten; hat aber nur einen kleinen Bezug zum Alltagsleben.
Beim Gehen (Kinhin) nimmt man die gleiche körperliche und geistige Haltung ein wie beim Zazen. Man stützt sich mit den Händen am Brustbein, damit man nicht einsackt und geht in einem Atemrhythmus. Man versucht ganz bei dem zu sein, was man eben tut. Sprich: man geht ganz bewusst, schritt für schritt im Takt des Atems. Ein Stück weit kommt das dem gehen der christlichen Mönche im Kreuzgang nahe.

Dass man Kinhin zwischen zwei Zazenblöcken platziert, hat bestimmt auch den Grund, dass es den Körper erholt. Es gibt dem übenden aber auch ein Training, das er im Alltag anwenden kann. Mit etwas Übung lässt sich offenbar der Weg zum Bahnhof, zum Einkaufszentrum, ja sogar der Gang zum Büro des Chefs meditativ nutzen. Nur bin ich leider noch nicht ganz soweit, dass ich in so einer Phase "in mich sinken kann"; aber das kommt schon noch.

Ist das Bein schon eingeschlafen, ist Kinhin keine Lösung. Man wird eher stolpern n-smile_34.gif als sich ganz auf das Gehen konzentrieren zu können. In diesem Falle setzt man sich in unserer Gruppe einfach bequem hin, und schliesst sich dem Kinhin an, wenn sich das Bein beruhigt hat. O:)

Danke für das Interesse

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crawltothesky
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Re: Zweites Zazen - 24. November 2008

Beitrag von crawltothesky »

Weil man die Beine beim Lotussitz und wenn man ihn anstrebt ziemlich krass anwinkelt und damit die Durchblutung der Knieunterseite hemmt, hilft es gegen eingeschlafene Füße / Beine (zumindest bei mir), wenn man die Knieunterseite massiert.
Wobei das Gefühl der Nadeln im Fuss ja auch recht geil ist... ;-)
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Sven

Re: Zweites Zazen - 24. November 2008

Beitrag von Sven »

crawltothesky hat geschrieben:Weil man die Beine beim Lotussitz und wenn man ihn anstrebt ziemlich krass anwinkelt und damit die Durchblutung der Knieunterseite hemmt, hilft es gegen eingeschlafene Füße / Beine (zumindest bei mir), wenn man die Knieunterseite massiert.
Wobei das Gefühl der Nadeln im Fuss ja auch recht geil ist... ;-)
/ohaa Du darst meine Nadeln gerne haben, wenn mir wiedermal was einschläft /grim

Bedeutet Unterseite hier Kiekehle oder die Seite, die beim jeweiligen Sitz gegen den Boden Zeigt?
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crawltothesky
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Re: Zweites Zazen - 24. November 2008

Beitrag von crawltothesky »

Kniekehle, das Wort ist mir nicht eingefallen...
Aber keine Angst, das mit dem Einschlafen gibt sich mit der Zeit. Ansonsten gibt es schöne Yogaübungen die man machen kann, um schließlich den Sitz zu perfektionieren. Das Beste ist aber wahrscheinlich einfach den Sitz zu üben und sich langsam heranzutasten. (Nicht dass ich den Lotussitz länger als ne Viertelstunde aushalten würde...) :lol:
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