Entscheidung

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Nichtlustig
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Entscheidung

Beitrag von Nichtlustig »

Entscheidung als Wort ist widersprüchlich. Wieso ist es wiedersprüchlich? Wenn wir uns bewusst entscheiden müssen, so setzt das immer voraus, dass wir zwei oder mehrere verschiedene Optionen haben, welche sich insofern unterscheiden, als das wir nicht die Möglichkeit hätten uns für zwei dieser Optionen zu entscheiden. Man kann nur eine Option wählen. Wir stehen also immer vor der Frage, welchen Weg wir gehen sollen. Entscheidet man sich für den einen Weg, so schliesst man den anderen aus. Man lässt also einen Weg ausscheiden. Man trennt den einen Weg, den man begeht vom anderen, den man nicht begeht. Eine Trennung. Wenn wir nun aber nur das Wort "Entscheidung" als Wort betrachten, so bedeutet es eigentlich das genaue Gegenteil von Trennung. Wenn die Scheidung eine Trennung bedeutet, so müsste eine Ent-scheidung also ein Zusammenführen sein. Dies könnte bedeuten, dass man sich erst dann entschieden hat, wenn man nicht mehr den anderen Optionen nachtrauert. Man hat sich erst dann entschieden, wenn man den Weg welchen man gewählt hat als die einzige Möglichkeit betrachtet. Solange man sich Gedanken darüber macht, ob es nicht besser gewesen wäre, den anderen Weg zu wählen, solange trennt man und solange hat man sich noch nicht entschieden, selbst, wenn man bereits auf dem einen Weg weitergeht.
Entscheidung wird umgangssprachlich zumeist an einen bestimmten Zeitpunkt geknüpft. Man steht an einem bestimmten Punkt im Leben, wo man eine Entscheidung treffen muss. Hat man die Entscheidung gefällt geht man weiter durchs Leben bis zur nächsten Kreuzung. Was passiert zwischen diesen Kreuzungen? Muss man sich dort nicht entscheiden? Hat man dort immer nur eine Möglichkeit? Was würde "Entscheidung" bedeuten, wenn sie unabhängig von der Zeit wäre? Was wäre die Schwierigkeit, wenn man sich immer entscheiden muss?

Zur Vereinfachung versuche ich die Einzelteile immer anhand eines Bildes und einer Aussage zu erklären:

"Eine Entscheidung zu treffen wäre einfach, wenn eine Entscheidung eindeutig wäre."

In meinem Weltbild steckt in jedem Ding, welches unendlich gross bis unendlich klein ist, jede Information, jede Eigenschaft, jeder Buchstabe, jede Zahl, in jedem einzelnen Ding steckt die unendliche Gesamtheit aller existenten und nichtexistenten Teile. Jede Entscheidung, die ich treffe, beinhaltet also eine unendliche Möglichkeit an Optionen, zwischen welchen ich auswählen kann. Da hinter jeder noch so eindeutigen Entscheidung aber eine unglaubliche Fülle an Mehrdeutigkeit steckt, wird es mir schon hier unmöglich abzuwägen, welchen Weg ich für besser halten könnte:

Der eine Weg ist hell, leuchtet voller Farbenpracht, auf beiden Seiten des Weges hat es fruchtbaren Boden, es wachsen verschiedenste Früchte und Pflanzen, Schmetterlinge spielen ihr Spiel des Genusses und der Freude, ein Wasserfall plätschert idyllisch vor sich hin. Der andere Weg fürht in einen dunklen Wald, man hört Geschrei und Gekreische, düstere Augen von noch viel düstereren Wesen blicken einem an, der Weg ist schwer begehbar, überall hat es Löcher und Stolperfallen. Die Entscheidung scheint einfach, da sie scheinbar eindeutig ist. Woher habe ich aber gelernt, das der erste Weg der Richtige ist? Was bedeutet Schönheit? Woher habe ich gelernt, was schön, gemütlich, wundervoll ist? Woher weiss ich, dass der Schein nicht trügt und hier nur das Spiel der Verführung gespielt wird um sich dann herauszustellen, dass sich hinter dem Schafspelz ein Wolf befindet? Wieso sollte das Schaf dem Wolf vorgezogen werden?

Hier fällt mir noch ein guter Spruch zu: "Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen"

Und dann stehst Du dort an der Kreuzung und denkst einerseits, dass es doch so eindeutig wäre, dass Du den schönen Weg nimmst und andererseits denkst Du, dass dies alles schon fast zu eindeutig ist.


"Eine Entscheidung zu treffen wäre einfach, wenn eine Entscheidung keine Auswirkungen auf alle weiteren Entscheidungen hätte."

Bei jeder Entscheidung wird auch die nächste Entscheidung getroffen, welche wiederum die nächste Entscheidung entstehen lässt. Jeden Tag. Jede Stunde. Jede Sekunde. Und dazwischen.

Esse ich ein Käsesandwich oder ein Schinkensandwich? Einfache Entscheidung: Käsesandwich, da ich möglichst wenig Fleisch esse. Was wäre passiert hätte ich das Schinkensandwich gegessen(Schweinefleisch)? Eine sehr bewusst lebende, sich veganisch ernährende, unglaublich gut aussehende und auf den ersten Blick symphatische junge Frau hätte mich darauf angesprochen, dass ich hier gerade etwas esse, was auf einem Raum von einem bis zwei Quadratmeter ein Höllenleben führen musste, nur damit ich es nun essen kann. Ich schmeisse mein Sandwich sofort in den Mülleimer und sie lädt mich erfreut über mein spontanes Handeln auf einen Tee ein. Wir merken schon bald, dass wir füreinander geschaffen sind. 20 Jahre später heiraten wir sogar. Hätte ich aber einen Kaffe anstatt einen Tee getrunken, wäre das niemals passiert, da ein etwas verwirrter mitarbeiter Rattengift in den Kaffee geschüttet hätte.

Und dann stehst Du dort vor dem Imbiss und fragst Dich, ob Du heute nicht doch lieber das Schinkensandwich nimmst.

"Eine Entscheidung zu treffen wäre einfach, wenn man seinen Willen nicht hinterfragen müsste."

Was ist mein Willen? Was will ich überhaupt? Wie soll ich eine Entscheidung treffen ohne zu wissen, was ich überhaupt will? Um eine Entscheidung zu treffen, muss man zwar einerseits den Willen besitzen, diese Entscheidung zu treffen, andererseits erkennt man aber erst an der Entscheidung, was man eigentlich will. Erst eine Entscheidung lässt einem erkennen, was Wille überhaupt bedeutet, aber erst der Wille verhilft einem zu einer Entscheidung.

Welche Farbe finde ich schöner? Rot oder Blau? Wie finde ich heraus, welche Farbe ich schöner finde? Ich entscheide mich für Rot. Nun weiss ich, dass mein Willen darin bestand, rot blau vorzuziehen. Nur: Wie soll ich dies vor meiner Entscheidung wissen? Für das nächste Mal weiss ich, dass ich rot blau vorziehe, nur, wie ist es, wenn ich zum ersten mal vor dieser Entscheidung stehe? Und was wäre, wenn jede Entscheidung, an jedem Tag, in jeder Stunde, in jeder Sekunde und dazwischen, eine neue Form der Entscheidung wäre, ich also nicht sagen kann, dass mein Wille immer darin besteht rot blau vorzuziehen?

Und dann wirst Du gefragt, ob Du die rote oder die blaue Pille willst. Du bist Dir bewusst, dass Du erst weisst, welche von beiden Du willst, wenn Du Dich für eine von beiden entschieden hast.

"Eine Entscheidung zu treffen wäre einfach, wenn man diese Entscheidung nur für sich selbst treffen müsste."

Die vorherigen Teile einer Entscheidung gehen eigentlich immer davon aus, dass das Subjekt nur für sich selbst entscheidet. In meinem Weltbild sind Subjekt und Objekt untrennbar miteinander verbunden, was bedeutet, dass jede Entscheidung, die man an jedem Tag, in jeder Stunde, in jeder Sekunde und dazwischen trifft nicht nur den eigenen Lebensweg beeinflusst, sondern auch den Lebensweg des "Gesamten". Einerseits heisst dies in der Konsequenz, dass ich bei einer Entscheidung immer auch darauf achten muss, was das Beste für das "Gesamte" - seien dies Menschen, Tiere, Pflanzen - ist und andererseits heisst das, dass das "Gesamte" mir auch Zeichen gibt. Da das "Gesamte" alle Optionen bei der Entscheidung in sich vereint, sind auch die Zeichen voll von all diesen Optionen. Es gibt also keine eindeutigen Zeichen, welche meine Entscheidungen unterstützen würden, im Gegenteil, sie führen eher dazu, dass ich keine eindeutige Entscheidung - und eindeutig muss die Entscheidung ja sein, da es sonst keine Entscheidung wäre - treffen kann.

Hier fällt es mir schwer ein Beispiel zu finden, weshalb ist mir nicht ganz ersichtlich. Vielleicht liegt es daran, dass ich mir schon wieder Gedanken mache, weshalb ich mich für dieses oder jenes Beispiel entscheide, deshalb lass ich es hier einfach Mal so stehen.

Während ich diesen Text geschrieben habe, habe ich wieder unendlich viele Entscheidungen getroffen, welche ich gar nicht bewusst gefällt habe. Hier wäre die frage: Wer oder was ist das, was diese Entscheidungen an jedem Tag, in jeder stunde, in jeder Sekunde und dazwischen trifft?

Zum Schluss noch ein paar Fragen: Wenn man möglichst bewusst lebt, also auch möglichst viele Entscheidungen bewusst trifft, kann dies nicht gerade dazu führen, dass man dann vielleicht gerade weniger bewusst lebt, da man plötzlich überhaupt nicht mehr fähig ist, selbst Entscheidungen, und seien die noch so vermeintlich einfach, zu treffen? Wie fängt man an wieder für sich selbst Entscheidungen zu treffen, wenn man diese oben beschriebenen Teile - und alles was sons noch zu einer Entscheidung gehört - berücksichtigt? Was ist Intuition demnach? Was bedeuten so oft erwähnte aber selten wirklich verstandene Wörter wie Entscheidungsfreiheit oder freier Wille in diesem Zusammenhang?

Ich weiss zwar nicht genau, was ich wo selbst geschrieben habe, aber bin jedenfalls dankbar für jeden "Input". Dieser Text widerspiegelt zu einem gewissen Teil die Schwierigkeiten, welche mich irgendwie immer ein bisschen davon trennen zu lieben und zu leben, wie das andere Menschen können.
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shivajanine
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Re: Entscheidung

Beitrag von shivajanine »

so ganz bewusst hab ich mir diese frage glaub noch nie gestellt, aber dein text find ich hammer =D>

Ist das nun bewusst oder unbewusst, diese frage stell ich mir gerade.
Ich glaube das sind die erfahrungen die du im leben sammelst und dann einfach unbewusst ausübst, ohne bewusst eine entscheidung zu treffen. Huiiiiiiiiii klingt spannend das ganze :mrgreen:
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u.s.l.

Re: Entscheidung

Beitrag von u.s.l. »

interessantes geschreibsel ;)

nun: das mit der roten und der blauen pille ist ganz einfach: die blaue ist übel. die rote hinkt ihr in nichts nach. ein wichtiger punkt ist, dass man sich auch stets die option bewahren sollte, sich zu entscheiden, sich gar nicht erst zu entscheiden. die entscheidung zu verweigern. es ist schon gewisser massen logisch, dass, wenn man die entscheidung nicht fällt, irgendwann andere kommen und sie übernehmen. nach ein paar mahnungen kommen (als beispiel) die herren oder damen vom betreibungsamt, oder, man muss selbst zu ihnen. von da an hat man jedoch immernoch die entscheidungsoption, ob man klein beigibt. oder entscheidet, dass man sein geld besser in etwas sinnvolleres inverstieren sollte.

die grössten entscheidungen sind dann zu treffen, wenn man sich als frau zwischen zwei leben entscheidet, und zwar dazu, als nächstes als mann auf die welt zu kommen. nein - bitte nicht bildlich vorstellen 8-[ bei einer scheidung liegt die entscheidung demnach eher beim manne, weil sich noch kein vernünftiges, gesellschaftskonformes gegenwort durchzusetzen vermochte - jedenfalls meines wissen nach nicht. da liegt der verdacht nahe, dass, als sich der man bescheiden liess...ups...das ging in die hose. *sorry*

im mittelalter, als die schwertkämpfe noch "in" waren (nein - nicht in der art von star wars! "anredaktionierung des merkers!"), da mussten die krieger ihre schwerter aus den scheiden ziehen, sie also entscheiden. erst nach diesem akt wurde die gefahr deutlich, welche vom entscheideten gegenstand ausging. und - da bin ich der festen überzeugung: hätten die mutigsten unter ihnen folgendes getan, wenn sie vor der entscheidung gestanden wären: sowohl die blaue, wie auch die rote pille entzweigeschieden (mit dem schwert), und hätten jeweils die hälfte genommen, damit sie die anderen hälften nach - sagen wir mal; zwei-drei stunden - nachgeschmissen gehabt hätten. /yo bei frauen im mittelalter war die entscheidung ganz einfach: es gab weder die wahl zwischen roten und blauen, noch zwischen pillen und spiralen. dafür hatten sie ganz andere probleme, auf die wir hier nicht detailiert einzugehen gedenken.

viel spass bei ihren nächsten entscheidungen.

;)
milosz
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Re: Entscheidung

Beitrag von milosz »

Leider grad keine Zeit um Deinen Text zu lesen. Wenn ich seine Stossrichtung aber richtig verstehe, dann empfehle ich Dir "derrida" und "entscheidung" zu googlen. Für mich der Philosoph des 20. Jahrhunderts, der die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Begriff der Entscheidung am besten formuliert hat. Ich glaube der Text dazu wäre "Gesetzeskraft" aber ich kann mich täuschen.
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